Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Gott stirbt


 

Jesus Cries

Film von Brigitte Maria Mayer

Gott ist Fleisch geworden und stirbt. Der Gipfel des christlichen Gründungsmythos ist ein gefolterter und getöteter Gott. „Jesus Cries“ erzählt das ganze Ende dieser Geschichte: die Anklage, die Inhaftierung, die Folter, den Tod Jesu, eine Geschichte, deren Episoden überall bekannt sind: das Abendmahl, der Ölberg, der Judaskuss, die Verleugnung durch Petrus, Jesu’ Festnahme, die Kreuzigung. Die Ereignisse werden antizipiert, erzählt, geträumt, in Erinnerung gebracht. Und auch was sonst noch geschieht, wird gezeigt. Was machen die Jünger als Jesus ins Gefängnis geworfen wird? Als er verspottet und gequält wird? Was empfinden sie, als er gekreuzigt wird? Was sagen sie sich in den furchtbaren Tagen, die auf seinen Tod folgen? Der Film zeigt uns das Schicksal, die Irrwege, den Glauben der Jünger; er führt uns in den Kreis der Apostel, die nicht wissen, wie die Geschichte enden wird. Von einer Krise zur anderen und bis zur äußerten Katastrophe, dem Kreuzestod, sehen wir uns neben Petrus, Judas, Barnabas, Magdalena, Johannes und dem todkranken Lazarus. Verängstigt, untröstlich, resigniert, ihren Hoffnungen hingegeben, voller Liebe und voller Wut, streiten sich die Apostel, zerfleischen sich gegenseitig, umarmen sich, gründen eine Kirche, zweifeln und verzweifeln. Gott ist tot. Wer das ernst nimmt, muss seinen Glauben selbst erfinden, sich sein eigenes Christentum schaffen. Genau das zeigt und tut dieser neue Film von Brigitte Maria Mayer. Sie kommt dabei ohne alle klassischen Attribute des Bibelfilms aus. Weder Toga noch Sandalen geben dem Film seine Atmosphäre. Die Folterer Jesu’ haben eine kalte Schönheit, sind raffiniert, schlank, tragen luxuriöse Anzüge, sind perfekt frisiert und rasiert. Ihre Eleganz gleicht der des Traders oder des Metrosexuellen, der auf dem Laufsteg defiliert, während nebenan der Bürgerkrieg stattfindet. Nur Jesus ist schöner.


Mit Sabin Tambrea (Jesus), Emily Cox (Magdalena), Bardo Böhlefeld (Judas), Ulrich Brandhoff (Petrus), Christian Sengewald (Kaiphas), Sebastian Anklam (Der junge Kaiphas), Nicole Mercedes Müller (Barnabas), Jannik Schümann (Lazarus), Felix Tittel (Thomas), Kai Michael Müller (Andreas), Markus Subramaniam (Johannes), Mathias Znidarec (Bartholomäus), Christopher Brose (Hannas), Emanuel Fellmer (Anführer der Tempelsoldaten), Valerie Koch (Maria), Luise Befort (Die junge Maria), Julian Mehne (Joseph von Arimathia), Joachim von Reichenbach (Kind)

Regie: Brigitte Maria Mayer, Deutsche Erstaufführung
TECHNISCHE DATEN: Deutschland 2015, Länge 71 Min., Sound 5:1, Aspect Ratio 2,39:1, DCP, Resolution 2048 x 848
ANATOMIE TITUS PRODUCTIONS
Koproduktion Niko Film

Im Weltvertrieb von KSM International. Kinostart am 2. April 2016

Trailer - JESUS CRIES from KSM International on Vimeo.

 

Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir

von Christoph Schlingensief


Unsterblichkeit kann töten.

Uraufführung der Originaldokumentation von Christoph Schlingensiefs „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ bei der Ruhrtriennale 2008 in der Karfreitagsnacht um 00.00 Uhr in der Volksbühne.

Christoph Schlingensief starb am 21. August 2010 in Berlin. Sein eigenes Requiem hatte er schon fast zwei Jahre zuvor bei der Ruhrtriennale in einem stillgelegten Industriegelände in der Nähe von Oberhausen gefeiert, an einem Ort, wo er vor damals 16 Jahren seinen Film Terror 2000 gedreht hatte. Diese Trauerfeier war der Fluxusbewegung aus den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts genau in dem Maße verpflichtet wie der katholischen Liturgie und Wagners Weihfestspiel. Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir war Totenmesse und Auferstehung in einem, Kunst- und Kirchenvernichtung und gleichzeitiges Reenactment. Schlingensief hatte den Innenraum seiner Oberhausener Pfarrkirche, der Herz-Jesu-Kirche, wo er getauft worden und Messdiener gewesen war, zumindest auf den ersten Blick originalgetreu in einer alten Industriehalle nachbauen lassen (von Thomas Goerge, einem seiner Parsifal-Bühnenbildner in Bayreuth). Mit afrikanischen und deutschen Darstellern (darunter Angela Winkler, Margit Carstensen und viele seiner behinderten Freunde) hatte er zahlreiche Aktionen aus der Fluxusbewegung nachgestellt und mit seiner 16-mm-Bolex-Kamera gefilmt. Diese Filme projizierte er anstelle von sakralen Fresken an die Wände der Kirche. Als »Fluxus-Oratorium« zelebrierte er dort mit etwa sechzig Mitspielern einen anklagenden und feierlichen Gottesdienst nach der Liturgie des katholischen Karfreitagsgottesdienstes als Hommage an die Fluxusbewegung zwischen Triumph, Trauer und Blasphemie, zwischen Joseph Beuys (»Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt«) und dem Buch Prediger aus dem Alten Testament (»Alles, was kommt, ist Nichtigkeit«). Als Verbindung zwischen den beiden Bewegungen diente das »fünfte Evangelium von Joseph Beuys«, das dem Leiden den Vorzug vor jeder noch so bedeutenden Aktivität gibt, weil das »Leiden die Welt mit christlicher Substanz« fülle. Die Einheit von Demut und Überschreitung, Buße und Hybris prägten dieses Oratorium: »Man macht es nicht im Namen eines Glaubens, sondern im Namen eines Künstlers, der darin aufgeht.«.

Diese Kirche der Angst vor dem Fremden in mir bildete bei der Biennale 2011 in Venedig das Zentrum des mit dem goldenen Löwen ausgezeichneten deutschen Pavillons. Die Filme und die Kirchenbänke und die gesamte Kirchenausstattung waren dort zu sehen, die Aktionen, die in dieser Kirche stattfanden, fehlten schmerzlich. Dass sie wenigstens in einer wunderbaren Video-Aufzeichnung erhalten sind, ist tröstlich. Die Dokumentation der Oberhausener Aufführung wird in der Karfreitagsnacht zum ersten Mal öffentlich gezeigt (bisher existierte nur der Mitschnitt, der viel späteren Aufführung beim Berliner Theatertreffen 2010). Dieses Karfreitagsoratorium ist für alle geeignet, auch für die, die an nichts glauben, und entspricht damit dem »erweiterten Wir-Begriff« aus Schlingensiefs Bayreuther Parsifal, der nicht nur Deutsche oder Europäer umfasst, sondern alle Menschen. Und nicht nur Menschen, sondern beispielsweise auch Hasen. Das ist Schlingensiefs »Alles zusammen«, wie man das Wort »katholisch« frei übersetzen könnte.

Konzept und Regie: Christoph Schlingensief
Komposition und Schlagzeug: Michael Wertmüller
Korrepetitor, Orgelspieler: Dominik Blum
Kostüme: Aino Laberenz
Licht: Voxi Bärenklau
Kamera: Anuscheh Amir-Khalili, Jens Crull, Kathrin Krottenthaler
Schnitt: Heta Multanen
Sounddesign: David Gierth
Dramaturgie: Carl Hegemann
Regiemitarbeit: Sophia Simitzis
Bühnenbildassistenz: Christian Schlechter
Kostümassistenz: Norgard Kröger
Assistenz Christoph Schlingensief: Michael Gmaj
Regiehospitanz: Timo Alterauge, Vincent Frenzel, Anna Lena Dieberg
 
Mit: Margit Carstensen, Angela Winkler, Mira Partecke, Komi Mizrajim Togbonou, Stefan Kolosko, Karin Witt, Horst Gelonnek, Kerstin Grassmann, Norbert Müller, Achim Paczensky und Klaus Beyer.
 
Sägerinnen: Friederike Harmsen, Ulrike Eidinger.
 
Gospelchor Angels Voices Odlle Amada, Bettina Becker, Alyss Chendjou, Patrik Djeukam, Armel Djepang, Sylvie Djeyong, Christelle Fotsing, Henriette Kwami, Armelle Lekefack, Nadine Lepawa, Line Monkeu, Patrique Mondjo, Raissa Mongo, Thierry Monthe, Regine Nguetseng, Corine Nguetgna, Aurelie Nguewo, Bertrand Pani, Igor Pouadeu, Raoul Tacou, Rostant Tagako, Michel Tchatcheu, Pascal Yves Totchom Simo, Stephane Zame.

Statisten: Gefoara Agaj, Stefan Basso, Matthias Eidens, Helena Eisenkrein, Udo Fitze, Michael Föllmer, Catalina Gomez, Wilfried Groll, Bianca Günzel, Dominik Hartings, Jochen Heidbrink, Siegfried Heidemann, Markus Helmert, Banafsche Jamalzahie, Henrike Kalb, Johannes Kammertöns, Bernadette Lietzmann, Andreas Link, Dirk Löffler, Marcus Prochowski, Marvin Reiss, Nico Ritter, Florian Sartoris, Marcel Schenk, Peter Schlacht, Lukas Schombert, Claus Thieltges, Heinz Wienhold, Dominik Winsberg.
Bühne Thomas Goerge, Thekla von Mülheim.

Tickets kosten 8,- Euro bzw. 6,- Euro (ermäßigt).

Schwarze Serie

//