Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 
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Schwarze Serie

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EROBERT EUER GRAB

1.

Die Osterzeit ist die seltsamste Zeit im Kirchenjahr. Das Christentum, neben Islam und Judentum eine der drei großen monotheistischen Religionen, feiert etwas, das den andern beiden zutiefst fremd ist: das Leiden und das Sterben Gottes am Karfreitag und drei Tage später seine „Auferstehung von den Toten“. Ein toter Gott dürfte also für einen Christenmenschen eigentlich nichts besonders Überraschendes sein. Der Tod Gottes ist keine Erfindung Nietzsches oder Dostojewkijs, sondern er steht schon im Zentrum des christlichen Glaubens selbst. Das Christentum ist die einzige Religion, die einen Gott anbetet, der gestorben ist. Sie hat das Symbol dieses Todes, ein Folterinstrument, zum zentralen Gegenstand der Gottesverehrung gemacht. Eigentlich ein unglaublicher Vorgang, nicht nur für andere Religionen, die in Gott das Vollkommene anbeten und das Leidensfreie, sondern auch für das Christentum selbst. Denn auch im christlichen Katechismus zeichnet sich Gott durch seine Allmacht, sein Allwissen, seine Allgegenwärtigkeit und seine Unsterblichkeit aus. Am Kreuz gestorben ist er trotzdem, aus Liebe zu den von ihm selbst geschaffenen Menschen, die er auf diese Weise vom Tod habe erlösen wollen. Diese Paradoxie ist der zentrale Glaubensinhalt des Christentums. Dass beispielsweise der Islam es vorzieht, Jesus nicht als Gott, sondern ausschließlich als Mensch, als Propheten zu sehen, kann man ihm nicht vorwerfen. Die Konstruktion des Leidens und Sterbens eines gleichzeitig ewigen Gottes als Grundlage einer Religion erscheint einfach zu widersinnig. Was könnte Gott veranlasst haben, sich in Gestalt seines eigenen Sohnes auf die Erde zu beamen, um sich dort töten zu lassen? Die christliche Erklärung „aus Liebe“ klingt paradox und anthropomorph. Wenn man Gott schon vermenschlichen will (was man wahrscheinlich besser lassen sollte), ist vielleicht folgende Erklärung plausibler: Der allmächtige und unsterbliche Gott kann alles und ist ewig. Aber eines kann er nicht, das aber ausnahmslos jeder Mensch kann, selbst der dümmste: er kann nicht sterben. Man könnte also annehmen, dass es eine narzisstische Kränkung war, die Gott dazu gebracht hat, sein zu wollen wie die Menschen: nämlich sterblich. Er konnte den Gedanken, dass er unfähig sei zu sterben, nicht ertragen. Deshalb emanierte er einen Sohn, der als Gott sterblicher Mensch wurde. Seitdem gibt es eine Religion, die einen gestorbenen Gott anbetet. Dass Er in seiner Allmacht, den toten Gott „am dritten Tage“ wieder auferstehen ließ, kann man als Trick der Allmacht, aber auch als traurige Einsicht Gottes in seine bleibende eigene Beschränktheit sehen. Es geht ihm wie dem Fliegenden Holländer: er kann nicht sterben. Und nicht sterben zu können, ist mindestens ein so großes Problem, wie sterben zu müssen. Vielleicht verbindet das Gott und die Menschen: beide haben ein unlösbares Problem: Gott hat das Problem, dass er nicht sterben kann. Die Menschen haben das Problem, dass sie sterben müssen. Welches Problem größer ist, kann jeder mit sich selbst ausmachen. Wahrscheinlich hat Gott das größere Problem. Während sich der unsterbliche Gott danach sehnt, sterben zu können, wollen die sterblichen Menschen vom Tod nichts wissen und hoffen auf ein Leben nach dem Tod. Noch besser wäre es allerdings, wenn wir gar nicht erst sterben müssten. Aber das gibt’s nur im Fußball, wo nichts unmöglich ist, weshalb auch die Parole des FC Union „Wir werden ewig leben“ durchaus glaubwürdig ist.


2.

Das Theater hat im Zuge seiner Säkularisierung in den letzten Jahren offenbar sein Thema gefunden; es fragt weder nach dem Tod, noch nach der Unsterblichkeit. Es fragt einfach: „Wie wollen wir leben?“. Diese Frage findet sich in zahlreichen programmatischen Äußerungen von Intendanten und Dramaturgen und Theaterideologen, zuletzt etwa bei Heinz Bude im Jahrbuch des Fachmagazins „Theater Heute“. Mit ihr soll die metaphysisch abgehobene Kunst gesellschaftlich relevant und mit den Alltagssorgen und Orientierungsproblemen der Menschen verbunden werden. Es fragt sich nur, ob diese Frage auf irgendetwas für die Kunst oder das Theater Spezifisches zielen kann. Denn jedes Wirtschaftsunternehmen stellt sich diese Frage auch. Jede Ware oder Dienstleistung, die wir kaufen können, liefert die freilich nie befriedigende Antwort auf diese Frage gleich mit. Wenn sich das Theater vorrangig auf sie bezieht, sagt es erst mal nichts anderes als: wir sind Teil des Systems, wir machen das, was alle machen, vielleicht etwas kritischer und etwas universeller, aber wir verstehen uns als ein Bestandteil der ökonomischen Sphäre, die Kritik und universellen Anspruch braucht, ohne die Fortschritt nicht möglich ist. Solange wir, wie unschuldig auch immer, nach der Optimierung des Lebens fragen, arbeiten wir mit im kapitalistischen Verwertungszusammenhang.
Das Theater als Ort der Kunst, als Heterotopie, muss eine andere Frage stellen, und zwar eine, die bei dem ganzen Hype um die Steigerung des Bruttosozialprodukts ausgeblendet ist. Wie wollen wir sterben?, müsste sie lauten. Diese Frage kann nicht der Hospizbewegung allein überlassen bleiben. Denn unsere Sterblichkeit, unser unvermeidliches Scheitern ist nicht delegierbar. Also: Wie wollen wir sterben? Wollen wir es überhaupt? Oder wollen wir lieber wie Gott unsterblich sein? Der Tod ist ein Ding, um dessentwillen wir das Leben lieben, sagt Hebbels Judith. Das stimmt: auch die Frage, wie wir sterben wollen, fragt nach dem Leben vor dem Tod. Aber sie lädt dieses Leben anders auf, sie denkt etwas mit, was die bloß erfolgsorientierte Marktteilnahme grundsätzlich verbietet. Das Theater darf auch Probleme behandeln, für die wir keine Lösung kennen und für die es keine Lösung gibt. Unsere Sterblichkeit ist so ein Problem und die Unsterblichkeit auch, wie man an Gottes verzweifelten Bemühungen zu sterben sehen kann. Ohne Tod gibt es keine Liebe. Vielleicht fehlte Gott in seiner Vollkommenheit die Liebe, vielleicht wollte er deshalb sterben.
Wie dem auch sei. Das Theater soll dieses Dilemma, den Widerspruch unserer Existenz, zeigen, ohne ihn zu kitten. Es soll ihn bejahen. Was uns Menschen ausmacht, sagt Aischylos, einer der ersten Theaterdichter überhaupt, ist, dass wir alles selber machen müssen, dass es aber etwas gibt, das stärker ist als wir und das am Ende immer siegt. Aischylos’ Aufforderung, die aus dieser Einsicht folgt, heißt: „Erobert euer Grab“. Diesen Satz kann kein Konzernchef in seine Marketingstrategien einbauen und kein Politiker oder General kann mit diesem Schlachtruf Soldaten in den Krieg schicken, nicht mal als Werbung für ein Beerdigungsinstitut ist er geeignet. Aber ein Künstler kann ihn, wie vor Jahren Einar Schleef, zum öffentlichen Leitmotiv seiner Arbeit machen. (C. H.)


3.

„Erobert Euer Grab“ steht auch über der „Schwarzen Serie“, die in der Osterzeit vom 11. März bis Anfang Mai 2016 an verschiedenen Plätzen in Bert Neumanns schwarzem Volksbühnenraum zelebriert wird. Sieben Premieren in sieben Wochen.

Krieg
Oper in einem Akt.
von Ragnar Kjartansson und Kjartan Sveinsson
Uraufführung am 11. März 2016

Sommergäste
nach Maxim Gorki
eine Kooperation mit der Schauspielschule Ernst Busch
Regie: Silvia Rieger
Premiere am 15. März 2016

Troja
von Esther Preußler, Nina Peller und Thilo Fischer
Uraufführung am 22. März 2016

Exodus
Terrorkampagne mit Musik nach DJ Stalingrad
– in einer Fassung von Thomas Martin
Regie: Sebastian Klink
Uraufführung am 25. März 2016.

Gott stirbt – Heilige Filme
„Jesus Cries“ von Brigitte Maria Mayer (2015)
Deutschlandpremiere
Christoph Schlingensiefs „ Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“
Uraufführung der Dokumentation des Originals bei der Ruhrtriennale in Duisburg 2008 von Heta Multanen, Katrin Krottenthaler u. a. Am 25. März 2016.

Locus Solus
nach Raymond Roussel
Regie: Krzysztof Garbaczewski
Premiere am 6. April 2016

JONA
von Lothar Trolle nach Inge Müller
Regie: Silvia Rieger
Uraufführung am 14. April 2016

War and Peace
von Gob Squad
Berliner Premiere am 20. April 2016


„Erobert euer Grab“ Schwarze Serie vom 11. März bis 06. Mai 2016.

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