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Das Denkzeichen. Vollelektronische Kolumne für Zeitgeist und Realitätszuwachs. Redaktion Thomas Martin

Denkzeichen CLII
Thomas Martin und Benedikt Richert, 6. Juli 2017

STEINWEG, MÜLLER, SHAKESPEARE, SCHLUSS

Es mag vorbei sein, vorbei, aber nicht vergangen. Nichts ist vergangen. Überleben ist auch eine Lösung, eine, die Form braucht. Der Rückzug in den Urwald der Vereinzelung oder der Gegenentwurf, Angriff auf breiter Front, mit den Mitteln der Kunst unter einem Dach, Theater, sind Strategien, die Gestalt brauchen. Denken ist die erste Strategie. „Denken heißt der Tendenz zur Selbsteinmauerung zu widerstehen“, unterrichtet Marcus Steinweg, der Heiner Müller liebt. „Theater kann man nur mit Freunden machen“, meint Müller am Ende seines Lebens; schwierig bis widersinnig an einem Ort, der sich durch Wahnsinn und durch Krise definiert. Tatsächlich ist in dem Gefüge dialektisch aufgehoben, was diese Art der Kunst, die eine Lebenskunst ist, ausmacht. Realität ist überkomplex, eigentlich Wahnsinn, und wenn es einen Zweck hat, liegt er darin, es auszuhalten. Die Kunst ist ein Weg dazu, sie bietet die Gegenwelt, den Gegenentwurf. Was wir Realität nennen, ist nur ein andere Definition für Krise. „Krisen sind Höhepunkte, die wir als Tiefpunkte wahrnehmen“ – wieder Steinweg, der auch Shakespeare liest: „Es gibt kein Jenseits des Theaters, weil es kein Jenseits der Bühne gibt.“ Wir haben versucht, der Selbsteinmauerung zu widerstehen, wir haben versucht, den Wahnsinn zu kontrollieren. „Theater ist kontrollierter Wahnsinn, der Freiraum, in dem Künstler spielen“, Müller nochmal. Wir haben versucht, die Kontrolle in den Wahnsinn zu treiben. Wir haben Theater versucht, wir haben Theater behauptet. Die Freunde sind zahllos, wir kennen die Namen. Nur drei – zwei von Toten, einer lebt – die uns begleiten, sind hier genannt. Theater mag kontrollierter Wahnsinn sein – wahr womöglich, wahr, ja, war hier wahr gewesen. Prost!
 

Benedikt Richert, Das Schwindelerregende, 30 x 40 cm, Tusche und Kreide auf Papier

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