Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

DIE STÖRUNG


Ich halte das Authentische, auch wenn man lange darüber reden könnte, was das ist, nach wie vor für wichtig. Um Kunst zu machen, kommt man um das Authentische nicht herum. Wenn ich als Künstler anfange, etwas zu machen, muss es etwas mit mir zu tun haben. Ich frage mich nicht, wie wird das am besten verkauft. Das ist ein anderes Denken, als bei einem Kulturfunktionär, den beschäftigt, wie das, was produziert wird, verwertet wird. Ein Bild zu verkaufen, ist nicht der Antrieb, ein Bild zu malen. Da muss man anders aufgeregt sein, anders dabei sein.
Manchmal werde ich gefragt, was das bedeutet, was ich gebaut habe. Wenn ich das genau beschreiben könnte, würde ich es nicht mehr machen. Für mich ist es gerade interessant, wenn ich Bereiche berühre, wo ich selber nicht weiß, was etwas sagen will. Da wird es erst interessant. Das kann aber nicht in einer sofortigen Abrechenbarkeit passieren. Wir haben an der Volksbühne auch nie gesagt: „Wir machen jetzt einen Erfolg!“ Das geht nicht. Dann macht man Kunstgewerbe. Ich habe neulich von einem Galeristen gelesen, der in den 70er Jahren eine Galerie gegründet hatte, weil er Kunst anders sehen wollte, als ein Ornament am Arsch des Kapitalismus. Das fasst auch unsere Position ganz gut zusammen.
 

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Daran, Theater und Tanz verwertbar zu machen, wird jetzt gearbeitet. Tanz als Beute. Theater als Beute. Ständig muss neues Material in den Markt gefüttert werden, denn der Markt braucht immer neue Sensationen. Ohne Neuigkeiten bricht er zusammen. Dann ist man geradezu angewiesen auf Leute wie Schlingensief, die so viel durcheinander gebracht und so viel Sachen bewegt haben. Man braucht einfach Material, mit dem man umgehen kann. In Venedig auf der Biennale einen Pavillon zu machen im Sinne von Schlingensief, als er schon tot war, geht eigentlich nicht. Wer mit ihm zusammen gearbeitet hat, weiß, wie wichtig seine Anwesenheit bei einer Performance war, die er inszeniert hat. Das ist absurd, und trotzdem erfolgreich, weil man sich eine Geschichte erzählen kann, von einem, der an Krebs gestorben ist.

Im Grunde genommen scheint es weit hergeholt, wenn die Protagonisten dieser Veränderung hier ständig Schlingensief zitieren. Der kann sich natürlich nicht mehr wehren, so dass der Name immer als Bestätigung der eigenen Kompetenz ins Feld geführt wird. Dabei handelt es sich genau um das Gegenteil von dem, was er immer wollte.

Es ist aufschlussreich, sich den Film „Durch die Nacht mit Mathias Lilienthal und Dercon“ anzuschauen. Die beiden besuchen Wolfgang Tillmans, dem gegenüber sich Lilienthal dahingehend äußert, dass er den Einfluss des Geldes auf die Kunst etwas doppelgesichtig findet. Daraufhin wirft ihm Tillmans vor: „Ihr in Deutschland mit euerm Theaterzeug. Dieser Freiheitsbegriff, den ihr da postuliert, ist doch nur Folklore. Es ist sowieso alles Markt, und dann soll man doch so ehrlich sein, das offen zu benennen!“ Lilienthal sagt dann nichts mehr. Tillmans unterschätzt aber die Situation, die man in Deutschland im Theater bislang noch hat, wo dieser Freiraum durchaus noch existiert. Die Volksbühne hat immer Leute angezogen, die sich ganz bewusst dem Kunstmarkt entziehen, um eine eigene Struktur aufzubauen, wo ganz andere Sachen möglich werden. Das wird mit einer Parole wie „Alles ist Markt“ weggewischt oder als altmodisch deklassiert. Jetzt heißt es: „Kunst ist eine Ware und damit muss man offensiv umgehen“. Das war aber in der Volksbühne bisher noch nicht nötig. In Zukunft geht es wahrscheinlich eher darum. Mich hat gerade dieser Punkt am Theater interessiert, dass es nicht ums Verkaufen geht. Das empfand ich als Vorteil. In dem Moment, wo man Sachen produziert, die nicht verkaufbar sind, gelten andere Regeln.
 

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Wenn ich sage, dass ich ein Tattoo-Studio aufmachen will, ist das natürlich nicht 100 % ernst gemeint, aber mir wäre tatsächlich lieber - auch wenn ich nicht weiß, was es sein könnte -, etwas zu verkaufen, was wirklich eine Ware ist, anstatt Kunst und Kommerz zu vermischen. Lieber eine offene Verkaufssituation, als eine verdeckte.
 

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Die Frage ist doch, dürfen Künstler noch Macht haben oder geht allmählich die gesamte Macht an die Leute über, die über die Verwertung von Kunst befinden - Museumskuratoren oder Kulturfunktionäre oder Leute, bei denen man Anträge stellt, um Gelder zu bekommen. Das sind zugleich Filter, die bestimmte Sachen oder Ansätze aussieben.
Es war immer die Grundverabredung in der Volksbühne, die Souveränität der Einzelnen, also der Schauspieler, Regisseure, Bühnenbildner etc. zu behaupten. Die sollen nicht im Auftrag funktionieren sondern nur im Selbstauftrag. Ich habe schon in der DDR konsequent versucht, mich aus Abhängigkeitsverhältnissen zu befreien. Da gab es auch im Theater immer wieder Funktionäre, die Regeln aufgestellt haben. Ich habe dann gesagt: „Okay, dann mach ich nicht so viel am Theater, sondern nur punktuell“.
Neulich war im Roten Salon eine Veranstaltung mit Jonathan Meese, der über Bayreuth sprach und auch sehr klar über seine Ansprüche in Bezug auf die Autonomie. Er ist jemand, der sich wehrt. Er ist auch auf dem Markt, aber hat sich mit seiner Produktionsstruktur unabhängig gemacht. Ich war ganz froh, jemand wie ihn zu hören, der ganz deutliche Worte findet und keine Angst hat, plötzlich weg vom Fenster zu sein. Mittlerweile ist die Angst, es sich mit jemandem zu verderben und seine Miete nicht mehr zahlen zu können so groß, dass es auch überhaupt keine Solidarität mehr gibt.
 

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Man kann seit längerem beobachten, wie prekär die Situationen der Künstler an kleineren deutschen Stadttheatern ist, die kaum noch feste Verträge haben, wie viele Leute an den größeren Theatern. Zwar arbeiten die Leute noch, aber die Arbeitsbedingungen der Kunstproduzenten sind so verändert, dass sie an der Armutsgrenze arbeiten, während die gewerkschaftlich abgesicherten Strukturen mit ihren Tariferhöhungen sich auf Kosten der Künstler am Leben erhalten. Da wäre Politik gefragt, zu handeln, um Lösungen zu finden. Man nimmt sich aus der Verantwortung, wenn man jemanden holt, weil der ein dickes Telefonbuch hat und sich um die Finanzierung kümmert. Es gibt es zwei Wege. Entweder man versucht die finanzielle Situation zu verbessern und führt eine Strukturreform durch oder man lässt es alles weiter laufen und versucht Leute zu finden, die von woanders her Geld einbringen können. Damit wird die Zweckfreiheit der Subvention untergraben. In dem Moment, wo viele Sponsoren nötig sind, um ein Theater am Laufen zu halten, gibt es andere Abhängigkeiten. Auch wenn man das Gegenteil behauptet.
Wenn man sich in die Abhängigkeit von einem Sponsor begibt, ist man schon unglaubwürdig. Da kann man auf der Bühne machen, was man will. Dann ist man wirklich Ornament am Arsch des Kapitalismus. Jemand wie Castorf kann man dafür auch nicht gebrauchen, der ist zu sperrig. Audi und Castorf und BMW und Castorf, das klappt nicht.
 

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Das sagt man natürlich nicht laut sondern macht im Gegenteil Veranstaltungen, die heißen dann „Disobedience“ wie an der Tate Modern. Ungehorsam als Prinzip war das Thema. Den Künstlern wurde gesagt: „Ihr könnt alles machen außer irgendwelche Frontalangriffe auf den Hauptsponsor der Veranstaltung!“ Aber das ist genau der Knackpunkt. Es soll ungehorsam aussehen, aber es soll nicht wirklich ungehorsam sein.


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Ich bin vor längerer Zeit gefragt worden, ob ich für das Rahmenprogramm der Kunstmesse Frieze in London etwas machen kann. Ich habe mir überlegt, dass ich für Pollesch einmal Zirkuswagen gebaut habe, die ich zusammen mit einer Band, die ich gut finde, dahinstellen könnte. Die Musiker wollte ich als ZigeunerInnen kostümieren. An einem Lagerfeuer sollten sie Musik machen, man kann sich aus der Hand lesen lassen usw. - fahrendes Volk, das innerhalb dieser Messe Rast macht. Das war meine Idee, um die Marktförmigkeit der ganzen Situation zu bearbeiten. Die Kuratorin fand das erst sehr interessant, machte dann aber beim zweiten Treffen Einwände: Die Galeristen hätten sich schon im letzten Jahr beschwert, denn da hätte es auch eine Musikperformance gegeben, die denen aber zu laut, weil sie den geschäftlichen Ablauf des Messegeschäfts störte. Mit den Gipsies hatte sie auch Probleme, wollte mir aber einen Kontakt zu einer Roma-Intiative in London besorgen, damit alles politisch korrekt abläuft. Dabei wollte ich gar nichts über Roma und Sintis machen. Darin steckte eine ganz andere Polemik. Das dritte war dann, dass es noch eine Ausstellung über einen russischen Revolutionskünstler gab - den Namen habe ich vergessen -, der Bühnenbilder zu einem Text von Jack London gemacht hat und die auf dieser Messe ausgestellt werden sollten. Sie fragte mich, ob ich nicht dazu etwas machen könnte. Alle diese drei Fakten haben mich veranlasst zu sagen, dass ich unter diesen Bedingungen leider absagen müsste, denn das hätte mit dem, was ich eigentlich machen wolle, überhaupt nichts mehr zu tun. Das ist ein Beispiel dafür, wie Sachen, die man vorhat, instrumentalisiert werden. In aller Unschuld wird einem das denn gesagt: „Laut sein darf es nicht. Stören darf es aber nicht!“ Es soll geil sein und irgendwie anders, darf aber nicht stören. Stören wäre aber genau der Witz daran gewesen.

Bert Neumann,  24. Juli 2015


Quelle: Lettre International Heft 110, Herbst 2015

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