Man sollte die thematische Entwicklung von David Tibet und seiner Band Current 93 einmal aus theologischer, wissenschaftlicher Perspektive nachvollziehen. Seit Bestehen der Band, also seit 1982, ist ihr Werk Ausdruck einer leidenschaftlichen Beschäftigung Tibets mit religiöser Mystik, mit Kabbalismus, dem Konzept der Gnosis und der christlichen Heillehre, mit Okkultismus und fernöstlicher Religion. Wann erfolgte welcher Schritt? Wo und wann sind Distanzierungen und Neuwendungen erkennbar? Es ging der Band nie darum, den Soundtrack zu einem esoterischen Lebensgefühl zu schaffen, sondern darum, sich dem Überphysischen ehrlich anzunähern. Dafür spricht auch ihr musikalischer Experimentierwille. Während die Band zu Beginn noch in der Nähe des Industrial verortet werden konnte – mit vielen blechern verzerrten Geräuschen, mit Hall und Noise-Loops –, galt Sie später als Wegbereiter des Neofolk. Heute prägen der Spoken-Word-beeinflusste Gesang Tibets das Klangbild der Band, genau wie die zunehmend viktorianisch anmutenden Kompositionen des zweiten konstanten Mitglieds der Band, Michael Cashmore. Zahlreiche Kollaborationen mit namhaften Künstlern (Björk, Nick Cave, Antony Hegarty, Will Oldham oder Andrew WK) sprechen für die Einzigartigkeit von Current 93 und ihren Status als musikalisch-theologische Instanz.
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