Die Dissertation von Dr. Döblin ist eine literarische Entdeckung, seit etwa einem Jahr als Buch erhältlich. Sie verschafft dem Leser tiefen Einblick in das poetologische Denken eines Autors, der den modernen Roman mit seiner Kenntnis der menschlichen Psyche geprägt hat wie kaum ein anderer deutscher Romancier.
In dieser Dissertation von 1905 stellt er den Zusammenhang zwischen literarischem Schreiben und psychotischen Wahnbildern, so genannten Konfabulationen, her. Später adressiert Döblin die Aufforderung „Man lerne von der Psychiatrie“ in der gleichnamigen Schrift ganz direkt an Romanautoren und ihre Kritiker. In diesem Sinne offenbart seine Dissertation eine poetologische Denkweise, die nicht das erinnernde Gedächtnis, sondern das Vergessen als Grundstruktur schöpferischer Prozesse annimmt.
Aus dem Nachwort von Susanne Mahler:
Alfred Döblin war promovierter Mediziner im Fach Psychiatrie und praktizierte von 1911 – 1933 im Berliner Osten als Kassenarzt für Nervenkrankheiten in der eigenen Praxis.
Dieser Aspekt seiner Biographie wird allgemein weit weniger mit dem Namen Döblin in Verbindung gebracht, als sein großer Romanerfolg Berlin Alexanderplatz von 1929. Der akademische und praktische Erfahrungshorizont des Arztes öffnete dem Literaten und Kunsttheoretiker jedoch vielfältige Perspektiven und stellt den heutigen Döblin-Leser vor eine Reihe von Fragen: Welche Psychiatriediskurse des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts beeinflussten das Schaffen des Kulturmenschen Döblin? In welcher Form kehren seine Medizinkenntnisse als Ideen einer ästhetischen Konzeption wieder? Kurzum: Was genau hat Döblin gemeint, als er 1913 im Berliner Programm an Romanautoren und ihre Kritiker die Empfehlung richtete „man lerne von der Psychiatrie“?