Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 
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Alte Meister

von Thomas Bernhard


Die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien, zwei Männer und ihr Streit. Der eine, Irrsigler, ist erfolgloser Polizeianwärter, dem nichts anderes übrig geblieben ist, als es als Museumswärter zu versuchen (Staatsdienst ist Staatsdienst und Uniform ist Uniform). Der andere, Reger, ist Musik-Kritiker und besucht seit 36 Jahren jeden zweiten Tag den Bordone-Saal, wegen der idealen Raumtemperatur und um den "Weißbärtigen Mann" von Tintoretto vor Augen zu haben, ein Bild, das, so Reger, seit 30 Jahren seinem Gefühl und Blick standgehalten habe, dessen „gravierender Fehler", den er bei jedem Alten Meister irgendwann entdeckt hat, noch nicht gefunden ist. Hinter dem Unmut des regelmäßigen Nutzers von kulturellen Einrichtungen verbirgt sich mehr als sein Verhältnis zu staatlich geförderter (und damit gefügig gemachter) Kunst und Kultur, zu Schulwesen, zwangsverordneter Sozialisierung und Konditionierung für einen verbrecherisch reaktionären Staat. Reger zieht es in seinen Gedankengängen vom Rhetorischen zum Grundsätzlichen, vom allgemeinen Lebensüberdruss zu einer persönlichen Tragödie – zu seiner Frau, die die Frechheit hatte, früher als er einfach wegzusterben, sich aus der Welt zu stehlen, ihn zurück zu lassen und all das Wissen mitzunehmen, das er ihr in jahrzehntelanger Kleinarbeit hatte vermitteln können.

Bernhard stattet seine Figuren oft mit einer spielerischen Freude an der Vivisektion der Sprache aus, lässt sie Gedankengänge und Sätze bis auf die kleinsten bedeutungstragenden Worteinheiten zerlegen. Das Mitgeteilte wird wiederholt, jede noch so kleine mitzuteilende Nuance immer wieder ins Bewusstsein geholt, bis die Wiederholung zur – letztendlich virtuosen – Fokussierung auf den Kern der Mitteilung wird. In der Theaterfassung des Prager Kammertheaters gibt Reger seine rhetorische Strategie mit der Zeit auf. Die immer loseren Zusammenhänge seiner Gedanken und unvollständigen Sätze, plötzliche Themenwechsel und assoziative Sprünge von einem Sachverhalt auf den anderen, sind geistige Auflösungserscheinungen. Einsam, als Hinterbliebener, ist er auf der Suche nach einem Gesprächspartner. Der ewige Kritiker und überzeugte Misanthrop bekennt sich zuletzt – zum Menschen: „Wir glauben sogar, ohne einen einzigen Menschen auskommen zu können, und bilden uns ja auch ein, wir haben nur eine Chance, wenn wir nur mit uns selbst alleine sind, aber das ist ein Hirngespinst." Irrsigler, ein Dummkopf vom Land und seit Jahren „staatstot“ in Diensten des Kunsthistorischen Museums wird von Reger allmählich zum Sprachrohr seiner eigenen Gedanken umfuntioniert, zu einem Kontrahenten auf höchstem Niveau. Reger und Irrsigler denken, handeln, streiten – fast wie bei Samuel Beckett – in gegenseitiger Abhängigkeit zueinander. Ausgangspunkt ist jeweils eine Überlegung Regers, die Positionen sind dennoch oft konträr. Das Ziel der intimen Meditation über Kunst, Politik und das Altern, scheint zwischen den Worten immer klarer durch – das Sterben, das vorherrschende Thema Thomas Bernhards: "Der Tod ist mein Thema, weil das Leben mein Thema ist, unverständlich, unmissverständlich ... Wir sterben ab, Einzelgänger unserer Ohnmacht, die wir sind."

Mit Karel Roden und Marian Roden

Regie und Bühne Dušan David Parizek

Musikalischer Prolog Roman Zach

Licht Jirí Kufr

Premiere 4. Juni 2004 in Prag

Gastspiel des Prager Kammertheaters. In Zusammenarbeit mit dem Festival tschechischer Kunst und Kultur „Prag-Berlin“. Gefördert durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und das Staatsministerium für Kultur der Republik Tschechien.

  


Regie: Dusan David Parízek

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