Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Anjo Negro/ Schwarzer Engel

nach Nelson Rodrigues/ Heiner Müller - auf portugiesisch mit deutschen Übertiteln


Das tropische Übermaß fasziniert Frank Castorf seit seinem ersten Kontakt mit Südamerika 1990. In den Jahren danach sprach der Regisseur des Öfteren lustvoll von der Angstvision, "dass uns der Amazonas überrollt". Die Metapher nahm in seinen Inszenierungen vielerlei Gestalten an: Russische, mongolische, afrikanische, karibische Amazonen, Vampire und Voodoo brechen herein wie haltloses Maschinengewehrgeknatter, und wo für Heiner Müller das Theater (nach Lukian) ein gepflegtes Gespräch mit den Toten ist, spitzt es sich bei Castorf zum ekstatischen Tanz der Zombies zu, der Untoten der Santeria. Nach der zweimaligen Einladung des Teatro Oficina nach Deutschland, nach der langen Tournee der brasilianischen Fassung seiner "Dickicht"-Inszenierung bedeutete der Vorschlag, den brasilianischen Autor Nelson Rodrigues in São Paulo zu inszenieren, für Frank Castorf mehr als einen Ausbruch aus den bekannten Produktionsbedingungen.

Jetzt kommt Rodrigues "Schwarzer Engel", zusammen mit der brasilianischen Fassung von "Im Dickicht der Städte", in Bert Neumanns Neustadt, die temporäre Architektur, die ursprünglich für Castorfs legendäre "Idiot"-Inszenierung 2002 entstanden ist. Im "Anjo Negro" quälen und töten sich Schwarze und Weiße im engsten Familienkreis: Ihr Hass bindet sie ausweglos aneinander, ein ewiger Kreislauf der Gewalt zwischen den Geschlechtern und Rassen. Castorf stellt dem deterministisch-fatalistischen Rodrigues Texte aus Heiner Müllers "Auftrag" entgegen, in dem die Emissäre der französischen Revolution auf Jamaika zeigen, wie sich Menschen verschiedener Herkunft und Hautfarbe eine Zeit lang für ein gemeinsames Ziel zusammenschließen und ihre Unterschiede überwinden können - und wie dieses solidarische Gesellschaftsmodell wieder zerfällt, wenn der Auftrag scheitert oder widerrufen wird. Auf Einladung des Goethe-Instituts São Paulo hat Castorf das Konglomerat der beiden Stücke unter dem monströsen Titel "Schwarzer Engel von Nelson Rodrigues mit der Erinnerung an eine Revolution: Der Auftrag von Heiner Müller" mit brasilianischen Schauspielern und Künstlern auf die Bühne gebracht. Dabei besetzte er die Rollen der drei Hauptfiguren mit umgekehrter Hautfarbe, und eröffnete somit eine andersartige Lesart auf den Rassismus, der in der brasilianischen Gesellschaft angeblich überwunden ist. Wieviel Hass braucht der Mensch? Ist eine Föderation, eine Internationale des Hasses vorstellbar?, fragt Castorf mit Nelsons "Schwarzer Engel" und Müllers Engel der Verzweiflung. "Anjo Negro/Schwarzer Engel" am 27. und 28. Juni in der Neustadt.

  

Mit: Denise Assunção, Roberto Áudio, Darcio de Oliveira, Janaina Leite, Georgette Fadel, Irina Kastrinidis, Gal Quaresma, Joyce Barbosa, Lucélia Sérgio, Mawusi Tulani, Tatiana Ribeiro, Tayrone Porto und Sidney Santiago

Fassung und Regie: Frank Castorf
Bühne und Kostüme: Thiago Bortolozzo, Renato Rebouças, Arianne Vitale Cardoso
künstlerische Beratung (Bühne und Kostüme): Bert Neumann
künstlerische Beratung (Besetzung): Antonio Araújo
Video: Marilia Halla
Kamera: Dario José, Walter Marinho
Licht: Irene Selka, Ivan Andrade

Eine Produktion des Goethe-Instituts São Paulo in Kooperation mit dem Serviço Social de Comercio São Paulo (SESC SP) im Rahmen der "Copa da Cultura Brasil+Deutschland 2006", einer Initiative des brasilianischen Kulturministeriums (MinC).

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