Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 
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Antiklimax

von Werner Schwab


Auf den ersten Blick eine normale Familie, die Eltern, die Tochter Mariedl und ihr Bruder. Hinter der Fassade bürgerlichen Alltags verbirgt sich ein Abgrund, der tief in die emotionale und ethische Gemengelage des Abendlandes am Beginn des dritten Jahrtausends blicken lässt: Mariedl wird vom Vater mit ans Normale grenzender Regelmäßigkeit vergewaltigt, der zu Stillschweigen gezwungene Bruder onaniert gegen die unbegreifliche Ordnung von Familie und Welt ausdauernd an, die Mutter übersieht und überhört alles. Werner Schwab gibt sich in diesem seinem letzten Stückfragment ausgesprochen fatalistisch. Einmal auf der schiefen Bahn, immer auf der schiefen Bahn – nach dem Sündenfall gelingt es der Familie nicht mehr, gegen die Eigendynamik des heraufbeschworenen Unheils anzukommen. Mariedl, bemüht, durch „Exkrementalismus im Treppenhaus“ auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen, wird vom auf den Plan gerufenen Polizisten im Beisein der Familie gemaßregelt, ein hinzugezogener Arzt geht kompromisslos gegen die Schwangerschaft vor (die väterliche Zuneigung hatte Folgen), ein Priester gegen das renitent aufsässige Wesen der Tochter. Was die Familie nach Vergewaltigung, Abtreibung und Gleichgültigkeit an Werten übrig gelassen hat, reduziert „die ganze Staatssicherheit mit ihren polizeilichen, medizinischen und kirchensteuersüchtigen Organen“ skrupel- und erbarmungslos ad absurdum. Mariedl, Schwabs Alter Ego in diesem Stück, ist gefangen im Nirgendwo zwischen fehlgeleiteter väterlicher Zuneigung, bigotten mütterlichen Durchhalteparolen und zwangsverordnetem Exorzismus. Dennoch bleibt sie geheimnisvoll ruhig, während alle ihre Alltagsfrustrationen und Machtphantasien an ihr abarbeiten. Als sammelte sie sich, um – für Schwab unüblich – aus der Malaise ihrer Opfer-Existenz ausbrechen zu können.

Die Inszenierung, seit 2003 auf dem Spielplan des Prager Kammertheaters, reagiert auf Werner Schwabs Radikalsprache mit dokumentarischer Zurückhaltung. Schwabs Bilder einer entfremdeten und sozial depravierten Gesellschaft werden auf ihren situativen Kern hin überprüft, die zwischenmenschliche Gewalt, die ihren Ausdruck in Schwabs Sprache findet, einer psychologischen Vivisektion unterzogen. Das Ergebnis ist eine Synthese aus Ernst und Ironie, die Schwabs Figuren als Natural Born Killers des mitteleuropäischen Alltags entlarvt.

Mit Jirí Cerný, Martin Finger, Gabriela Mícová, Jirí Štrébl und Jana Krausová

Regie und Bühne Dušan David Parizek
Kostüme Erlend Hella Matre
Musik Roman Zach
Licht Michal Machac

Gastspiel des Prager Kammertheaters. In Zusammenarbeit mit dem Festival tschechischer Kunst und Kultur „Prag-Berlin“. Gefördert durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und das Staatsministerium für Kultur der Republik Tschechien.

  


Regie: Dusan David Parízek

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