Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Argo Berlin! I Like To Forget

Kooperation zwischen AdK-Bw und P14


Ich möchte ein Gegenbild entwerfen zu einer Biografie, die unter „der Vorherrschaft der Geschichte“ (Hans-Thies Lehmann: Postdramatisches Theater. Frankfurt am Main 2005, S. 21.) steht und der die Vorstellung von „Ganzheit, Illusion, Repräsentation von Welt“ (ebd., S. 22.) zugrunde liegt. Dem setze ich die Konzeption der Postbiografie entgegen, für die ein derartiger Bezug zur Welt nur „eine mögliche Variante“ (ebd.) darstellt für das, was gegenwärtig auf unterschiedlichste Weise praktiziert wird: die „Biografie ohne Drama“ (ebd., S. 44).
Der Begriff Postbiografie spricht für sich selbst: Alle klassischen Traditionen scheinen aufgehoben. Postbiografie kennt keine Handlung mehr, zumindest hat sie keinen Inhalt im Sinne von kausalen Zusammenhängen innerhalb einer Fabel, die erzählt werden könnte; vielmehr sind es Fragmente, die aneinandergereiht werden. Dabei hat sich „der eigentliche Konflikt des Lebens […] in den Umgang mit ihm verlagert“ (ebd. S. 90), man fragt nicht mehr, ob das Leben der Textgrundlage entspricht, sondern die Vielzahl an Texten werden einzeln befragt, ob und wie sie geeignetes ‚Material’ für die Realisierung eines biografischen Vorhabens sein könnten. Im Zeichen der Zeit wird nicht mehr die Ganzheit von Wort, Bild, Sinn, Klang etc. angestrebt, das Leben nimmt vielmehr einen Fragment-Charakter an und überlässt sich somit der Gefahr und der Chance, einzelnen Impulsen von Texten zu vertrauen, um die jeweilige Sache zum Ausdruck zu bringen. Die verschiedenen biografischen Mittel wie Körper, Stimme, Raum und Zeit werden als einzelne hervorgehoben und eben nicht als ein Ganzes. (Vgl. Metzler Lexikon Theatertheorie, S.248f., s.v. ‚Postdramatisches Theater’.) Postbiografie ist insofern nicht Fortführung der Biografie, sondern ein völliger Bruch mit ihr. Würden die Leben nicht mit ‚Biografie’ betitelte Gattungszuweisungen erfahren, wäre es überhaupt nicht mehr ersichtlich, ob es sich hier um Prosa oder Dramatik handelt.
Oft gleicht die Biografie einem einzigen fortlaufenden und frei assoziierten Gedankenstrom, der auf den ersten Blick unlebbar scheint. Es liegt am Biografen, was er mit einer derartigen Textgrundlage macht, ob er den Worten Bilder in Form von Requisiten oder Räumen hinzufügt, inwiefern er Angedeutetes ausführt oder Ausgeführtes andeutet. Der Rezipient erfährt dabei die Freiheit, „auf Bedeutungszuweisungen zu verzichten und die ihm präsentierten Dinge einfach in ihrem Sein zu erfahren“ (ebd.). Der Spiegel des Lebens, den die Biografie durch ein wie auch immer geartetes Festhalten am Text und durch einen erkennbaren Figurenkonflikt noch kenntlich machte, ist in der Postbiografie ein bruchstückhafter. Durch Mehrdeutigkeiten betont sie die „Schwierigkeiten im Prozess der Sinnfindung […] [und] führt ihn [den Rezipienten] immer wieder an die Grenzen seiner intendierten Wahrnehmungs- und Verstehensleistung“ (ebd.). Kurz gesagt: Die im präsentierten Film immer wieder gestellte zentrale humanistische Frage ‚Wer ist Jan?’ angesichts veränderter Verhältnisse der Makrostruktur ist Dreh- und Angelpunkt dieser postautobiografischen Seifenoper. Jedoch kommt es zu keiner Lösung. Zu einer Entladung aus der Verzweiflung, etwa in einer Revolution, kann es nicht kommen, weil es politisch wie gesellschaftlich wirksame Revolten unter den globalisierten, kapitalistischen Bedingungen der Spätmoderne nicht mehr gibt. Hier werden keine Konfrontation ausagiert und keine alternativen Utopien erstellt. Die Ware ist eine andere geworden, immateriell, zum Beispiel die Realisierung von Gefühlen. Ich könnte euch alles erzählen!

M. Döring


Argo Berlin!I like to forget. “I’m the girl, you lost to cocaine”.
eine inszenierung.
Herakles – Duran Özer
Jason – Jeremias Acheampong gespielt von Sarah Gailer
Atalante – Irina Sulaver
Aletheia – Sarah Horak
Text und Regie – Jan Koslowski

  


Regie: Jan Koslowski

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