Hat man registriert, mit welcher Genauigkeit Döblin in „Berlin Alexanderplatz“ die Welt des Franz Biberkopf beschreibt (jede Strasse, jede Bewegung der Protagonisten auf den Strassen lassen sich auf dem Stadtplan verfolgen), und liest man dann noch, wie in diesem Raum die Zeit nur bedingt von Bedeutung ist (zwischen dem Nachmittag, an dem Mieze Reinhold die Treppe zu ihrer Wohnung nach oben kommen sieht, und dem Nachmittag, an dem beide zu einem Ausflug nach Bad Freienwalde fahren, liegt genau ein Jahr und doch benehmen sich beide, als hätte man sich erst vor zwei Tagen das letzte Mal gesehen; nicht die Zeit, die Gefühle zählen), ahnt man, was Döblin mit dieser Detailtreue erreichen wollte: nicht ein möglichst realistisches Bild des Berlin vom Jahr 1928 zu zeichnen, sondern von einem Albtraum zu erzählen, den man nur unter der Bedingung, dass man ihn bis ins kleinste Detail beschreibt, sich aneignet. Und so betrachtet (dass man sich in einem Wunderland mit eigenen Raum- und Zeitaxiomen bewegt), ist es auch nicht verwunderlich, liest man, wie Mieze ihrem Franz, dem Wochen zuvor der Arm abgefahren wurde, die „Hände streichelt“. Döblin selber hat ja auch im dritten Buch einen Hinweis gegeben, wo er seinen Roman eigentlich angesiedelt sehen möchte, in dem er den Schlachthof von Berlin von der Thaer- an „Theaterstrasse“ verlegte.
(Lothar Trolle)
Mit: Bibiana Beglau, Max Hopp, Marc Hosemann, Iris Minich, Trystan Pütter, Alexander Scheer, Jeanette Spassova und Ludmilla Skripkina
Regie: Frank Castorf
Bühne und Kostüme: Bert Neumann
Licht: Lothar Baumgarte