Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Das Lebende und das Geschlachtete

von David Lindemann


Mademoiselle Hélène ist Tierärztin im Schlachthof und der sogenannte Slasherfilm nichts anderes als der Kaiserschnitt unter den Horrorfilmen. Es geht ja gar nicht darum, die selbstbestimmte und bestimmende Mutter nur abzustechen wie ein Schwein: Sie muss geöffnet werden. Der männliche Fötus, in dauernder Angst, abgetrieben zu werden, öffnet sich selbst den Weg in die Freiheit. Ich bin die junge Gräfin Thyssen-Bornemisza. Meine Partygäste haben mitten in der Nacht die jüdischen Zwangsarbeiter erschossen. Ich weiß von nichts. Du warst doch mal ein Kämpfertyp, Jacob. Du hast dich als geflügelter Bote deiner Erbinformation doch mal gegen 200 Millionen Konkurrenten durchgesetzt. Jetzt schwächelst du. Meine Mutter kann unstrukturierbare Situationen aushalten. Und du, Jacob? Warum erlaubst du deiner komplexen Lebenserfahrung nicht, deinem einfachen Weltbild im Wege zu stehen? Du bist hier draußen, bei uns, ja nur auf Bewährung.
Jacob ist auf der Suche nach der Sonnenseite des Lebens. Dazu braucht hier keine Geschichte erzählt zu werden, und was früher war, interessiert auch gar nicht. Aber warum sind hier, auf der sogenannten Sonnenseite, alle so gespalten und mit Jacobs Vorstellung von einem Neuanfang gar nicht zu vereinbaren?
Die Kulturgeschichte des Schlachtens wird von einer Reihe von Regelungen begleitet. Verboten ist euch das dreckige Schwein, die heilige Kuh und der unverstandene Hund. Geboten ist euch das Schächten, der Kreislauf allen Lebens und die deutsche Schlachtverordnung. Kultur neigt dazu, sich auf dem Höhepunkt ihrer Errungenschaften selbst wieder abzuschaffen. Je weiter sich der Tötungsakt vom Affekt entfernt, desto weniger scheint euch das Töten opportun. Das Schlachten, die große Kunst und Hochkultur des Tötens, muss an die Ränder gedrängt, ins Dunkle vertrieben und von der Speisetafel verbannt werden. Aber jedes Tier hat im gewaltsamen Tod eine Stimme. Hier schlägt das animalische Tönen um in Bedeutung, das Tier spricht sein aufgegebenes Selbst im Tod aus. Es muss geschlachtet werden.

  

Mit: Georg Springer, Anne Tismer und Nele Winkler

Regie: Sebastian Mauksch
Bühne: Caroline Rössle Harper
Kostüme: Nina Gundlach

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