Sprung aus dem 30. Stock, Giftmord, Flucht, Heirat, vermeintlicher Geschwisterinzest, versuchte Vergewaltigung, Messermord, florierende Vetternwirtschaft, Korruption und Betrug! Dazwischen einige impulsive Umarmungen, vertauschte Babys und philosophische Unterredungen. Das alles und noch das ein oder andere mehr auf gerade mal 70 Seiten.
Ein Stück, bei dem man „schier das Erbrechen bekommen“ kann (Schubart), oder ein völlig „übereiltes Stück“ (Lenz), das in seiner überstürzten Handlung ein hohes Maß an Gesellschaftskritik zu tage bringt und einen „Querschnitt der deutschen Stände des 18. Jahrhunderts, ein Panorama der Zustände“ (Christoph Hein) aufzeigt.
„Der neue Menoza oder Geschichte des kumbanischen Prinzen Tandi“ ist nach „Der Hofmeister oder Vorteile der Privaterziehung“ das zweite Theaterstück von Jakob Michael Reinhold Lenz. Es ist voller Gefühle: Enttäuschung, Begehren, Ohnmacht vor allem. Letztere sind nicht nur Ausdruck einer tiefen emotionalen und physischen Überwältigung (ein entsprechendes Gegenmittel haben die Protagonisten immer zur Hand), sondern auch eines Unvermögens, den Idealen der Aufklärung gerecht zu werden. In der 1773 verfassten Komödie macht der junge asiatische Prinz Tandi auf seiner Europareise in Naumburg (Sachsen-Anhalt) Halt, und wird sogleich bitter enttäuscht. Der eigenen Heimat nach tiefem gesellschaftlichen Fall entflohen, hofft er, in Deutschland, „dem fast vollkommenen Staat“, eine bessere Welt kennenzulernen. Doch was er im Haus seiner Gastgeber vorfindet, ist pure Faulheit, Gier und Falschheit: „In eurem Morast ersticke ich! Das der aufgeklärt Weltteil! Allenthalben wo man hinriecht Lässigkeit, faule ohnmächtige Begier, lallender Tod für Feuer und Leben, Geschwätz für Handlung – das der berühmte Erdteil! o pfui doch!“
Mit dem Vorwurf der „ohnmächtigen Begier“ wendet der Prinz den Kantschen Wahlspruch der Aufklärung („Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“) in sein Gegenteil: „Was ihr Empfindung nennt, ist verkleisterte Wollust, was ihr Tugend nennt, ist Schminke, womit ihr Brutalität bestreicht“.
Die Entdeckungstour durch den europäischen „Morast“ wird intensiviert durch die Bekanntschaft mit Wilhelmine und den daraus folgenden Intrigen, Hochzeiten, Heimlichkeiten, Eifersüchteleien, Anschlägen und Rachegelüsten, bis der alte Herr Zopf auftaucht. Er glaubt, gute Nachrichten zu überbringen, weil er die wahre Herkunft des Prinzen herausfinden konnte, doch es folgt: Eine überraschende Wendung.
Von seinen Zeitgenossen wurde das Stück mit seiner fast schon filmischen Szenenabfolge vernichtend kritisiert. Es dauerte bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts, ehe es von Regisseuren wie Benno Besson (Burgtheater Wien) wiederentdeckt wurde. Mit seiner Darstellung des Scheiterns der hohen Ideale der Aufklärung an der erbärmlichen deutschen Wirklichkeit und schließlich auch mit seiner irren Situationskomik, bietet „Der neue Menoza“ eine reizvolle Spielvorlage für Uwe Dag Berlin und die Studenten der Schauspielschule Ernst Busch.
Spieldauer: ca. 2 Stunden 10 Minuten
Tickets kosten 8,- Euro bzw. 5,- Euro (ermäßigt).
Mit: Timocin Ziegler (Herr von Biederling), Jaela Probst (Frau von Biederling), Stella Hinrichs (Wilhelmine), Tim Riedel (Prinz Tandi), Gregor Schulz (Graf Camäleon, Buckliger), Llewellyn Reichman (Donna Diana), Seraina Leuenberger (Babet), Florian Donath (Zopf, Magister Beza), Lukas Darnstädt (Zierau, Lahmer) und Fabian Wehmeier (Verwalter, Gustav, Blinder)
Regie: Uwe Dag Berlin
Bühne: Julia Kneusels
Kostüme: Julia Kneusels
Dramaturgie: Thilo Fischer
Dramaturgische Mitarbeit: Claudia Steinseifer
In Kooperation mit der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“