Ausstattung: Jana Wassong
Mitarbeit: Anna Heesen, Thilo Fischer
Luis Buñuel hatte einen letzten großen Traum, von dem er mir kurz vor seinem Tod, an einem heißen Juli-Abend, in einem alten Café, unweit des Platzes „ El Ángel de la Independencia“ in Mexico City, erzählte. Ich war aus Berlin zu Besuch und wollte, wie immer in den letzten Jahren, ein paar Tage mit ihm verbringen, denn wir sammelten dieselben historischen Postkarten und tauschten unsere Funde untereinander aus. Buñuel war an diesem Abend schon schwer betrunken, er lallte ein wenig und ich weiß nicht, welcher Teil seiner Erzählung seinem allgemeinen Zustand zu schulden war und welchen Teil er dann doch so intensiv im Traum erlebte. Jedenfalls habe ich diesen Abend so in Erinnerung: Buñuel saß etwas zusammengesunken in einem alten Plastikstuhl, in ein fahles Licht getaucht, unter einem Baum. Es war spät und die Luft war stehend schwül. Es roch faulig. Fliegen und Falter surrten um unsere Köpfe. Der Verkehr der nahen Avenues rauschte im Hintergrund, aus der Bar wehten uns alte mexikanische Schlager ums Ohr. Abwechselnd nahm er kleine Schlucke seines Brandys und zog an einer riesigen Zigarre.
Ab und an rieb er sich die Stelle seines Körpers, unter der die schwer geschädigte Leber steckte. Er redete an diesem Abend wieder einmal ununterbrochen:
„Ich erzähle Dir jetzt diesen unglaublich bescheuerten Traum. Wenn Breton noch leben würde, der hätte seine größte Freude daran gehabt. „Wie surreal“ hätte er geschrien!!! Dali fand das alles schieren Kappes, ich rief ihn neulich an, um ihm davon zu erzählen, aber ... der ist ja eh nicht mehr ganz bei Trost und schuldet mir noch Geld und irgendwie, ich weiß nicht, immer wenn man ihn anruft, sitzt er gerade auf dem Klo. Ach egal, was wollte ich Dir erzählen, ach ja, richtig. Ich schlief tief und fest in dieser Nacht, gut 10 Stunden am Stück und doch war ich am nächsten Morgen in einem desaströsen Zustand. Ich stand also mitten auf dieser Bühne, eher so einer kleinen Bühne, also nicht so was riesiges wie in diesen großen Sprechtheatern, die Du ja gut kennst, mein Freund. Nein, es war eher wie die Bühne in einer Bar. Und überall war dieses rote Licht, welches den gesamten Raum blutrot färbte. Also Freud hätte seine pure Freude daran gehabt, rot, nicht wahr, das heißt ja immer: Schweinekram, jedenfalls, wenn man so ein bisschen verklemmt tickt.
Also: Ich stand nackt dort und wartete, und irgendwie war mir total klar, worauf ich wartete. In einem Spiegel hinter mir und in einem Spiegel vor mir wurde mein Ich tausendfach gebrochen, so dass ich nicht mehr wusste, wer ich eigentlich wirklich war, also wer all dieser Buñuels denn der richtige Luis war. Ich schämte mich auch ein wenig, denn mein Körper, also, der ist ja schon alt, dieser faltige hängende Arsch, überall diese grauen Haare, auch mein riesiges Geschlecht hatte nicht mehr wirklich Spannung und schaukelte da vor sich hin. Das Licht blendete mich und erst als sich meine Augen langsam an diese Blendung gewöhnten, bemerkte ich all diese scharfen unglaublich gleich aussehenden Frauen im Publikum und bekam, wie ich in den Spiegeln sah, eine wirklich kräftige Erektion. Ich fand das ganz angenehm und dann, ob Du es glaubst oder nicht, öffnet sich plötzlich eine Tür, die Frauen drehten ihre Gesichter alle in dieselbe Richtung und erschraken fürchterlich. Und das wirklich Unfassbare geschah...“
Dieser Abend widmet sich diesem letzten Traum Buñuels, denn „Die Welt wird immer absurder. Nur ich bin weiter Katholik und Atheist. Gott sei Dank!“ – Luis Buñuel
Tickets kosten 8,- Euro bzw. 6,- Euro (ermäßigt).