Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Diktatorengattinnen I

von René Pollesch


Sophie: Irgendwas stimmt hier nicht! Ich meine, ich kann doch nicht von der Bühne abgehn und dann steht da jemand und schreit Action! Hört auf, hier zu filmen!

Tina: Sie ist verrückt geworden.

Sophie: Die Negation wird für verrückt gehalten, und nicht die Kreativität! Aber das war doch mal anders, man sprach doch mal von verrückten Künstlern! Die können doch nicht plötzlich pragmatischer geworden sein als die Negation!

Tine: Frau Baltsa! Sie wollen, dass du die Carmen singst in der Bukarester Oper!

Mira: Gut! Aber sag ihnen, dass ich meine eigenen drei Kleider mitbringe. Eins für den ersten eins für den zweiten und eines für den dritten Akt! In jedem noch so ehrgeizigen Bühnenbild habe ich immer diese drei Kleider an.

Sophie: Das ist doch mal ein Nein, Frau Baltsa! Negation muss die Kreativität ablösen!

Mira: Kann ich denn nicht in meinem Flamencokleid herumstehn und tun was ich kann als Ersatz für eine Inszenierung. Ich muss doch nicht in Kostümentwürfen rumstehen, die aussehen wie aus Abu Ghraib und die Carmen singen! Gibt es denn keinen Widerstand mehr unter Künstlern? Die kriechen auf dem Boden rum und wälzen sich in ihrer Spucke ohne jede Form von Selbstwiderstand. Das machen nur Leute, die dauernd an ihrem Selbst rackern müssen und glauben, sie würden von mal zu mal charismatischer werden, je mehr sie sich die Knochen brechen. Selbstanhäufung führt zur Zerstörung. Ohne Selbstwiderstand würde ich nicht so großartige Auftritte hinlegen und für mich sorgen.

Tine: Eine Sängerin, die niemandem gehorcht. Da sitzen 2000 Leute und denken sie sitzen vor einer spleenigen Operndiva, die sie nicht alle hat, und keiner hört dieses Nein. Man sieht zwar die vollständige Abwesenheit von Kreativität bei Agnes Baltsa, aber man zieht daraus keine Rückschlüsse auf ein Nein!

Sophie: Frau Baltsa! Sie haben im Theater nichts verloren! Im Theater wird auf keinen Fall gegen den Konsens gesprochen. Es gibt da für eine Elite nichts zu tun. Obwohl es sich mit seinen begrenzten Zuschauerzahlen extrem eignen würde. Theater sind wie gemacht für elitäre Veranstaltungen.

Mira: Wenn die mich in ihre avantgardistischen Kostüme stecken wollen, in Sydney, Stuttgart oder Bukarest, erinnert mich das an die Fotos von Abu Ghraib. Das ist das einzige was die im Westen eintauschen können gegen ein Opfer des Lebens, das Opfer der Würde. Die Selbstdenunziation der Künstler. Die wird gegen das Opfer des Lebens eingetauscht. Hier muss doch aber mal wieder das Leben geopfert werden und nicht die Würde. Nein, ich stehe im ersten Akt in einem Flamencokostüm auf der Bühne und nicht in den Ausdruckswütigen Entwürfen eines verrückt gewordenen Kostümbildners! Dann steh ich eben mit meinem Fächer vor einem Don José in einem Astronautenanzug, na und? Ich bin Agnes Baltsa! Eine Diktatorin der Herzen! Es bleibt einer Elite vorbehalten über Dinge nachzudenken, wie wir einen Umgang miteinander pflegen können. Strenge Formen! Würde! Puritanismus!

Tine: Agnes Baltsa scheint die einzige Millionärin zu sein, die noch an Würde interessiert ist! Alle anderen Millionärinnen kaufen sich in Fernsehsender ein, um das grösstmögliche Kunstwerk abzuliefern, dass sie sich vorstellen können: Einen Tatort. Seit die Kapitalisten debil geworden sind und nur noch die Liebe des Fernsehvolks wollen, seitdem ist der Glanz des Geldes gegangen. Seit sich Leben für wertvoll halten, jenseits des Geldes. Aber: Das Geld ist das reale Gemeinwesen aller und nicht die Liebe. Das Leben, das scheinbar alle teilen, das ist das Gegenteil von Würde!

(René Pollesch)

  

Mit: Christine Groß, Mira Partecke, Sophie Rois und Volker Spengler

Text und Regie: René Pollesch
Bühne und Kostüme: Bert Neumann
Kamera: Ute Schall
Dramaturgie: Aenne Quiñones

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