Moderation: Osman Okkan
mit Simultanübersetzung
Auf Deutsch liest Anne Ratte-Polle
Welche Reaktionen lösen die Protestbewegungen des Arabischen Frühlings in der Türkei aus? Kann sie ihrer Vorbildrolle für die Demokratiedebatten in den arabischen Ländern gerecht werden? Diesen und weiteren Fragen stellt sich die syrische Schriftstellerin Samar Yazbek im Gespräch mit dem türkischen Journalisten und Verleger Tanıl Bora und der türkischen Autorin und Soziologin Pınar Selek.
Laut Bora sieht sich die türkische, national-konservative Regierungspartei AKP angesichts der Proteste zuallererst in ihrer Rolle als "Modell des demokratischen Islams" bestätigt. Darin, so der Journalist weiter, stecke auch die herabsetzende Sichtweise auf die arabischen Länder, die in "modernistisch-westlicher Manier" alles "arabische" als rückständig orientalisiere. Gleichzeitig jedoch wächst die Angst der National-Konservativen vor einer Stärkung des kurdischen Volkes durch die Revolution und damit einer aufstrebenden Opposition gegen die Regierung.
Vom Aufstand gegen die Regierung berichtet Samar Yazbek, selbst Mitglied der alawitischen Minderheit in Syrien, in ihrem Protesttagebuch "Schrei nach Freiheit". Sie war von Anfang an dabei, nicht nur als Beobachterin, sondern auch als aktive Kämpferin. Sie befragte Demonstranten, aus der Haft entlassene Dissidenten, aber auch Polizisten und Militärs. Bald wurde sie selbst verfolgt. Als sie erfährt, dass ihr Name auf einer Todesliste steht, flieht sie mit ihrer Tochter nach Frankreich. Sie wird aus dem Inneren berichten und die Stimmen der Aufständigen aufs Podium tragen.
Pınar Selek ist in Deutschland bereits bekannt für Ihren Kampf für Freiheit und Demokratie. Welche Folgen Protest und Widerstand in der Türkei haben können, hat sie am eigenen Leib erfahren. Daher lenkt sie den Blick auf die Verfolgung von Menschen, die die Regierung als oppositionell oder „anders“ einstuft, und setzt sich für deren Rechte ein. Besonders die aktuelle, aggressive Vorgehensweise gegen kurdische Menschen in der Türkei soll an diesem Abend in den Fokus gestellt werden.
Das Protestprotokoll "Schrei nach Freiheit. Bericht aus dem Inneren der syrischen Revolution" erscheint im Februar 2012 im Nagel & Kimche Verlag.
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Tanıl Bora wurde 1963 in Ankara geboren und studierte Politikwissenschaften. Seit 1988 arbeitet er als Verleger für Sachbücher im İletişim Verlag. Er ist außerdem Mitherausgeber der linken, monatlichen Zeitschrift Birikim und Chefeditor von Toplum ve Bilim, eine drei Mal im Jahr erscheinende Zeitschrift für Sozialwissenschaften.
Sein Schwerpunkt liegt in der kritischen Betrachtung politischer Ideologien in der Türkei, wozu er auch an der politischen Fakultät Ankara lehrt.
Samar Yazbek wurde 1970 in Dschabla/Syrien geboren. Sie studierte Literatur, veröffentlichte Romane und Erzählungen und engagierte sich als Journalistin für Bürgerrechte und die Rechte der Frauen. Sie ist Herausgeberin der Online-Zeitschrift "Women of Syria" und Autorin der Gruppe Beirut 39. Als im März 2011 die syrische Revolution beginnt, schreibt Yazbek ein Protokoll der Protestbewegung. "Schrei nach Freiheit" ist das zweite auf Deutsch erschienene Buch der Schriftstellerin. Momentan lebt sie mit ihrer Tochter im französischen Exil.
Pınar Selek ist Soziologin und Autorin. Die Themen ihrer Arbeit sind unbequeme: Militär, Sexualität und Kurdenpolitik. 1998 geriet sie unter Terrorverdacht; seitdem muss sie gegen die Vorwürfe ankämpfen, obwohl sie bereits dreimal freigesprochen wurde. Mit ihrer gesellschaftskritischen Studie „Zum Mann gehätschelt, zum Mann gedrillt“ sorgte sie europaweit für Aufsehen, und in ihrem Roman „Halbierte Hoffnungen“ widmet sie sich den Jahren nach dem Militärputsch 1980. Momentan wohnt und arbeitet sie in Strasbourg.
Osman Okkan, Journalist und Filmemacher. Er ist Gründer und Vorstandssprecher des KulturForum TürkeiDeutschland.