Dirk Darmstaedter
Als Dirk Darmstaedter sich 1996 immer wieder alleine oder mit Freunden ins Hamburger Hafenklangstudio zurückzog, um mal wieder Songs außerhalb eines Bandkontexts zu schreiben und aufzunehmen, wusste er noch nicht, dass er damit sein Leben der nächsten zwanzig Jahre definierte. Es war ja noch gar nicht klar, ob seine damalige Band, die Jeremy Days, eine Pause machte oder am Ende angekommen war. Den Jeremy Days waren einige Hits gelungen, zudem sahen sie gut aus, waren Posterboys. Die Hoffnungen für Dirk als neuen Star beim Majorlabel Universal waren hoch gesteckt. Aber zu diesem Zeitpunkt wusste ja noch keiner, dass die Musikindustrie just zu seinem ersten Soloalbum eine große Krise ausrufen, dass er die neuen Regeln des Business selbst mit seinem erfolgreichen Indielabel Tapete abstecken würde, dass Konzerte künftig auch in Wohnzimmern und Studioaufnahmen auf einem Dachboden stattfinden, dass es neun Soloalben werden würden und dass man mit all diesen Infos eines Tages ständig seine Internetseite würde aktualisieren müssen. Das Album "Twenty Twenty" fasst jetzt diese zwanzigjährige Solokarriere von Dirk Darmstaedter in zwanzig Liedern zusammen. Und erstaunlicherweise erzählt diese Platte, trotz all der äußeren Änderungen, etwas von Kontinuität.
Auf dem Cover findet man nicht die obligatorischen Beinamen Greatest und Hits, mit denen man solche Compilations gerne labelt. Mit Hits im Sinne der heutigen Mainstream-Charts hat das ja sowieso wenig zu tun, auch wenn Darmstaedters gesamtes Oeuvre mit großen Melodien gespickt ist und durchaus auf die Charts zielt, aber wohl auf die aus anderen Jahrzehnten. So weist das einzig neue Lied der Sammlung auf Helden vergangener Zeiten hin: "Sonny & Cher", das Traumpaar des Pop der 1960er Jahre, das bis zum heutigen Tage wohl täglich im Radio zu hören ist, jedoch im Wesentlichen mit einem Song: "I got U, babe". Manchmal spielen sie es vielleicht sogar Seite an Seite mit "Brand New Toy", dem großen Hit der Jeremy Days. All die anderen Lieder tauchen eher in den Mini-Rotationen der Erwachsenensender auf, in den Radiospecials der Abendstunden, wo man sich dem bewussten Musikhören widmet und dann eine von Darmstaedters Pop-Perlen wie "Walking with your shoes tied together" oder "Fred Astaire" mit der Musik von Lloyd Cole, Prefab Sprout oder Ron Sexsmith kombiniert.
"Twenty Twenty" kann man auch wie ein solches Radiospecial hören. Ein Album wie aus einem Guß. Es dokumentiert weniger die Moden des Pop als viel eher die Kontinuität eines Songwriters mit Gitarre: ein in sich geschlossener Kosmos. Denn egal, ob mit seiner großartigen neuen Band im altehrwürdigen Studio Nord in Bremen aufgenommen, alleine auf dem heimischen Dachboden, mit Freunden im Hamburger Hafenklang, in einem fensterlosen Bunker in Berlin, in einer alten englischen Kirche nahe Cambridge oder mit musikalischen Helden in Hinterhofgaragen in Studio City, L.A.: das Ergebnis ist immer als ein Dirk Darmstaedter Song zu erkennen. Ein sogenannter body of work, eine Werkschau. Die Lieder sind zeitlos, klassisch im Sinne der großen Popsongs der 1960er bis 70er arrangiert und der großen musikalischen Geste verbunden. Man kann zu ihnen beim Tanzen sein Haar schütteln oder auch den Kopf, wie es möglich ist, dass diese zwanzig Lieder keine Hits waren. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Und vielleicht liegt dieses Blatt noch irgendwo bei Brian Wilson zwischen all den Pet Sounds Notizen.