Berlin war die Geburtsstätte der Volksbühnenbewegung, die in den gesamten deutschsprachigen Raum ausstrahlte. Der Verein Freie Volksbühne Berlin wurde 1890 als erste Besucherorganisation Deutschlands gegründet, um breiten Bevölkerungsschichten den Zugang zur Kultur zu erleichtern. Mit dem Bau der Volksbühne am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz wurde eine lange Geschichte der aktiven Kulturvermittlung begründet. Anlässlich des 120-jährigen Jubiläums lädt die Freie Volksbühne Berlin zum Festakt ein.
Dort, wo seither Theatergeschichte geschrieben wurde und wird, erinnern wir am 21. November 2010 an die Gründungstage. Mit Vorträgen von Erika Fischer-Lichte, Torsten Blume und Anne-Christin Saß.
Zur Geschichte der Freien Volksbühne Berlin
Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und das heutige Berliner Festspielhaus haben sich als zentrale Spielstätten in das Stadtbild Berlins eingeschrieben. Beide verweisen auf die wechselvolle Geschichte der Freien Volksbühne Berlin, die 1890 gegründet wurde, um das „moderne Drama“ für breite Bevölkerungsschichten an der Theaterzensur vorbei auf die Bühne zu bringen. Ausgehend von diesen Anfängen beleuchtet der Vortrag, wie der kulturpolitische Verein zur Massenorganisation aufstieg, um „Die Kunst dem Volke“ zu vermitteln. Im Fokus soll dabei das avantgardistische Theater Erwin Piscators stehen, der in den 20er Jahren als Intendant der Freien Volksbühne neue Ästhetiken erprobte, deren außergewöhnliche Sprengkraft im West-Berlin der Nachkriegsjahre fortwirkte. So illustrieren 120 Jahre Freie Volksbühne Berlin ein bedeutendes Stück deutscher Theatergeschichte und das Potential des Theaters als kultureller Praxis.
Vortrag von Erika Fischer-Lichte, Theaterwissenschaftlerin (Freie Universität Berlin)
16.00 Uhr, Parkettfoyer
Raumapparate. Moholy-Nagy und das Theater der Totalität
Als Lászlo Moholy-Nagy 1929 das Bühnenbild für Erwin Piscators Inszenierung von Walter Mehrings Stück „Der Kaufmann von Berlin“ gestaltet hatte, hieß es in einer anschließenden Rezension: „Welch ein Apparat! ... Brücken gehen hoch und nieder. ... laufende Bänder drehen sich ... Trams läuten. Die Autos hupen. Die Straße trampelt, die Straße schreit. ... Denn er spielt mit; der Raum hat seine Rolle.“ Moholy-Nagy wollte, ähnlich wie Piscator, die Bühne durch den theatralen Einsatz von elektro-mechanischen Geräten, bewegtem Licht und Film die erneuern. Seine Vision war ein „Theater der Totalität“, das ein „Aktionsraum von Ton, Licht, Farbe, Form und Bewegung“ ist und menschliche Darsteller als gleichwertige „Wirkungselemente“ integriert. Etliche Bauhäusler experimentierten damals mit den „Bühnenelementen“ um die Bühne als „Raumapparat“ neu zu erfinden, so auch die von Oskar Schlemmer geleitete Bühnenwerkstatt. Der Vortrag reflektiert, ausgehend von den Bühnenbildern, die Laszlo Moholy-Nagy für die Volksbühne entworfen hat, die besondere Theaterperspektive des Bauhauses, in deren Ideenkreis Piscators Bühnenvisionen stets einen wichtigen Bezugspunkt gebildet haben.
Vortrag von Torsten Blume, wissenschaftlicher und künstlerischer Mitarbeiter, Leiter Bühnenprojekte (Stiftung Bauhaus Dessau)
16.30 Uhr, Parkettfoyer
Ein „ostjüdisches“ Quartier? Jüdische Migranten im Scheunenviertel vor und nach 1918 im Berliner Scheunenviertel
Als „Elendsbezirk“ und bevorzugtes Stadtquartier der osteuropäisch-jüdischen Migranten bot das unweit der Volksbühne gelegene Scheunenviertel nach der Niederlage des Ersten Weltkriegs eine höchst geeignete Projektionsfläche für die in der deutschen Bevölkerung herrschenden Abstiegs- und Überfremdungsängste. Im Bild des „ostjüdischen Ghetto“ vermischten sich Fakten und Fiktionen, exotisierende Neugier und antisemitische Einstellungen zu einem unentwirrbaren Ganzen, das bis heute die Wahrnehmung dieses Stadtviertels prägt. Der Vortrag thematisiert die Lebenswirklichkeiten der osteuropäisch-jüdischen Migranten im Scheunenviertel, die Beziehungen zur nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft und das spannungsreiche Verhältnis zu den deutschen Juden.
Stückeinführung „Der Kaufmann von Berlin“ mit Sebastian Kaiser, Dramaturg (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz) und Vortrag von Anne-Christin Saß, Historikerin (Freie Universität Berlin)
17 Uhr, Seitenfoyer rechts
Festprogramm zum Jubiläum am 21. November 2010 in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz:
Festakt
14.00 Uhr, Großes Haus
Begrüßung
Frank Castorf, Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Prof. Dietger Pforte, Vorsitzender der Freien Volksbühne Berlin
Berlin - Ecke Volksbühne
Ausschnitt aus dem Film vom Britta Wauer
Festrede
Staatssekretärin Prof. Barbara Kisseler, Chefin der Senatskanzlei
Verleihung der Ehrenmitgliedschaft an Hermann Treusch, Intendant der Freien Volksbühne 1990-1992
Laudatio Prof. Dietger Pforte
Der Festakt wird begleitet vom Chorprojekt der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Jürgen Daniel Lehmann (Einstudierung Sprechchor)
Franziska Huhn, stefanpaul (Einstudierung Gesangschor)
Ausstellungseröffnung
15.30 Uhr, Sternfoyer
Eröffnung der Ausstellung „120 Jahre Freie Volksbühne Berlin“
Anschließend kleiner Sektempfang im Sternfoyer