Forever Young
Frank Castorfs Bearbeitung von Tennessee Williams’ "Süßer Vogel Jugend / Sweet Bird of Youth"
Tennessee Williams liefert in diesem Südstaaten-Drama aus dem Jahr 1959 Situationen, in denen höchster demokratischer Anspruch und faschistische Willkürherrschaft ununterscheidbar werden. Doch das politische Desaster ist nur der Hintergrund für ein noch größeres Desaster, dem niemand entkommt. Verantwortlich dafür ist: "Der Feind in uns allen, die Zeit." Ihr Krieg gegen die körperliche Unversehrtheit, die Jugend, ist nicht zu gewinnen. Sie siegt immer und am Ende immer total. Frank Castorf sagt zu seiner zweiten Williams-Inszenierung: "Ich glaube, wenn man das Stück ins Jetzt verlegt, kann man diesen Stoff nur noch auf einer Insel ansiedeln. Das Bühnenbild ist eine Insel. Man denkt an die Insel der Glückseligen, an diejenigen, die sich inmitten einer untergehenden Welt das Privileg des letztlich unbegrenzten Konsums gesichert haben. Und das bedeutet auch den Terror des Konsums, dem wir uns ja auch gerne opfern. Diese Insel ist aber auch der Ort eines Machtkampfs mit den Nichtprivilegierten. Man denkt an ein Ferienressort, es liegt im Urwald, im Dschungel, die Luft ist heiß und feucht. Aber wir wissen, für uns gibt es Ventilatoren in der Nähe und eine Klimaanlage. Dahinter ist ein Zaun und über eine Türschließanlage mit Summer können wir tatsächlich an den Strand. Wir ahnen, dass wir bewacht werden an diesem Strand, damit unsrem weißen Arsch nichts passiert. Ab und zu gehen auch Schwarze durch diese Welt. Wir wissen nicht, was sie denken, was sie tun werden. Sie sind ghettoisiert wie der gesamte Kontinent Afrika. Aber werden sie sich dem unterordnen? Ist dieser Kontinent überhaupt noch beherrschbar oder ist er draußen, außerhalb der Macht- und Einflusssphäre des globalen Systems? Und was ist, wenn wir auf Einzelne treffen? Dieses Urwaldbühnenbild ist auch ein Treibhaus und ein Triebhaus. Es hat sein eigenes Klima. Es ist umgeben von gelben Plastikbahnen und sieht aus wie ein simuliertes Filmset. Es hat auch eine pornografische Dimension: Man kuckt sich um und denkt, irgendwas stimmt hier nicht, das ist alles nur simuliert. Trotzdem ist durch die tatsächliche Hitze und die Feuchtigkeit, die darin herrschen, etwas vorhanden, woran wir merken können, dass unser Organismus arbeitet, und auch der des Schauspielers. Wenn es Bert Neumann als Bühnenbildner gelingt, einen solchen klimatischen Raum zu schaffen, ahnen wir als Zuschauer vielleicht, wenn dieser Schweiß, diese Feuchtigkeit, diese tropische Hitze auf uns kommt, dass man sich in bestimmten Regionen nach dem Schnee und dem Eis Europas zurücksehnt."
Carl Hegemann, 2003
Wiener Premiere am 15. Juni 2003
Berliner Premiere am 24. Oktober 2003