Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Fucking Liberty!

Regie und Text: Ulli Lommel


Der Schauspieler, Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Ulli Lommel (geboren 1944) stand bereits mit vier Jahren mit seinen Eltern, Unterhaltungskünstler des berühmten Circus Lommel, auf der Bühne. Bis Rainer Werner Fassbinder ihn 1969 für seinen ersten Spielfilm besetzte. Über 20 weitere Produktionen mit Fassbinder sollten folgen, hinzu kommen zahlreiche Rollen in nationalen und internationalen Filmen, bis Lommel 1977 nach Amerika übersiedelt. Dort begegnet er Andy Warhol und realisiert mit Ihm weitere Filmprojekte. Nach dem Erfolg seines Filmes The Boogeyman (1980) bleibt Lommel in Amerika und wohnt seitdem an der Küste unter den Hügeln Hollywoods, wo er bis heute über vierzig Filme für den DVD Verwerter Lionsgate produziert hat. Lommel arbeitete neben Warhol und Fassbinder mit Orson Welles, William S. Burroughs, Anna Karina, Heinz Rühmann, Maria Schell, Hildegard Knef, Elvis Presley, David Carradine, Curd Jürgens, Eddie Constantin, Richard Hell, Carole Bouquet, Jack Palance, Klaus Kinski und vielen anderen Ikonen der populären Welt. Diese und einige Weitere bevölkern seine erste Theaterarbeit, die er für die Volksbühne am Rosa-Luxemburg Platz inszenieren und schreiben wird. "Ein Ausflug nach Amerika, auf den Planet der Affen und wieder zurück, weit zurück ins braune Nazi-Deutschland, um dann bei den Mescalero-Apachen in New Mexico zu landen." Warum? Ulli Lommel: "MEINE FUCKING LIBERTY: Ich war drei Jahre alt, als Amerika und der Begriff der Freiheit in Zusammenhang mit Gewalt zum ersten mal auf mich einstürzte: Es war 1948 und meine Mutter und ich waren im Sommer in Bayern, in der Küche in Garmisch, als das ganze Haus plötzlich anfing zu wackeln. Dann schob sich das drohende Rohr eines amerikanischen Sherman Panzers vor unser Fenster, ein freundlich cool grinsender G.I. erschien und bat uns in gebrochenem Deutsch um Salz und Zucker. Wir waren beide ganz erleichtert, ihm seinen Wunsch zu erfüllen und erhielten als Dank kalte Pommes in einer Plastiktüte und eine Packung Wrigley's Kaugummi. Ich kapierte sofort, dass die Amis keine Feinde waren, sondern unsere Befreier. Als ich 14 war, lebten wir in Bad Nauheim, gleich um die Ecke von Elvis Presley, der dort für kurze Zeit als US-Soldat stationiert war. Ich lernte ihn kennen und wir machten Musik. Elvis befreite mich Anfang 1959 aus der Enge und dem Mief und der Verlogenheit von Nachriegs-Deutschland. Ich riss aus, machte meine eigene Musik und ging mit einer kleinen Band auf Reisen. Mein Vater schickte mir die Polizei hinterher und als ich ihn als alten Nazi beschimpfte, starb er drei Jahre später, ohne dass ich mich bei ihm entschuldigen konnte. Er hatte meiner Mutter gesagt, der Einfluss, den dieser Presley auf seinen Sohn hatte, das war der Anfang vom Ende. Recht hatte er. Oft zog es mich nach Bremerhaven, wo die großen Schiffe nach Amerika fuhren, und ich träumte von diesem sagenumwobenen Land, welches die täglichen Wettervorhersagen von weiblichen Stimmen singen ließ, so ein Land, wo ein Typ wie Elvis her kam, wo eine Frau wie Marilyn zur Legende wurde, und wo JFK Präsident war mit einer First Lady wie Jackie, so ein Land, dachte ich, da musste ich hin. Als dann jedoch der Vietnamkrieg kam, als die Kennedys erschossen wurden, als die Polizei erst in San Francisco und dann in ganz Amerika Antikriegsdemonstranten brutal zusammenschlug, als Martin Luther King ermordet wurde, da ahnte ich, dass ich meinen Traum aufgeben würde, jemals nach Amerika zu gehen. Aber es kam alles ganz anders. 1977 flog ich zu einem Filmfestival nach New York und lernte Andy Warhol kennen, der mich fragte, ob ich mit ihm in seiner Factory arbeiten wollte. Wir machten Filme, Interviews und Polaroids und Andy zeigte mir ein ganz anderes Amerika. Zweimal fuhren wir mit dem Auto von New York nach L.A. und seitdem verstehe ich ein wenig davon, was Freiheit bedeutet. Es ist der Raum, der unendliche. Es sind diese Ideen, die durch diesen Raum entstehen. Du veränderst dich. Die Weite verändert dich. Und wenn du dann Joe Blow triffst aus Kansas City, Missouri, der mit seinem Hund Rocky auf Lake Jacomo auf Entenjagd geht, bewaffnet mit über 40 verschiedenen Entenlockruf-Flöten und einem Entenfloß, in dem sich sein Rocky verstecken muss, damit ihn die Enten ja nicht entdecken, dann fühlt auch Joe Blow und sein Hund ein bisschen Freiheit. Und wenn meine 89-­jährige Mutter, die Baroness Carla von Cleef, mich in Amerika besucht, sich dann ein schneeweißes 76er Cadillac-­Cabrio mietet und als Rockerbraut verkleidet durch Kalifornien braust und die Amerikaner vom Straßenrand applaudieren und ihr 'You go, Girl!' zurufen, dann spürt auch sie diese Freiheit. Freiheit kann man nicht so einfach exportieren. Besonders nicht mit Gewalt. Ich wünschte, die Tea-Party-Anhänger würden das verstehen. Freiheit ist auch nicht, sich aus 97 verschiedenen Coca-Cola Sorten morgens um vier im Supermarkt eine aussuchen zu können. Freiheit ist der Raum, der im deinem Kopf, in deinem Herzen und in deiner Seele entsteht. Und der Rest, das ist Fucking Liberty."
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