Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Hallelujah (Ein Reservat)

von Christoph Marthaler und Ensemble


Der Spree-Freizeitpark im Plänterwald mit Dinosaurier, Riesenrad, Teichen, Brücken und Bootshäuschen wurde 1969 in der DDR gegründet. Nach der Wende übernahm ihn ein privater Investor. Daraufhin kostete die Freizeit 18 DM Eintritt, erinnert sich Lilith Stangenberg, die als Schülerin über die Mauer stieg, um in den Attraktionen zu spielen. Viele Geschichten gibt es über den Spreepark: Als in den Rohren einer neuen Achterbahn viele Kilo Kokain gefunden wurden, habe der neue Besitzer sich nach Südamerika abgesetzt. Sein Sohn kam ins Gefängnis. Der Freizeitpark war bankrott und wurde geschlossen. Das Gelände dämmert seitdem vor sich hin. Die still gelegten Attraktionen sind von Natur überwuchert. Manchmal bewegt sich das Riesenrad, wenn es windig ist. Man kann es hören. Auf ein still gelegtes Vergnügungsgelände richten sich unterschiedliche Wünsche. Drogen wurden dort verkauft, ehemalige Mitarbeiter wohnten in den leer stehenden Attraktionen. Dann wurde der Park abgesperrt, so dass Anna Viebrock den Dinosaurier nicht von dort mitnehmen und in die Volksbühne tragen konnte.

Für die neue Produktion von Christoph Marthaler baut sie Fragmente der Plänterwald Architektur in den von Bert Neumann gestalteten neuen Bühnenraum hinein. Da wird der geschlossene Vergnügungspark zu einem Reservat, in dem überflüssig gewordene Menschen eine Parallelwelt erfinden und einen vermeintlichen Neuen Anfang imaginieren. Im 19. Jahrhundert konnten überflüssige Europäer mit Illusionen in die Neue Welt auswandern. Daher kommen die amerikanischen Country-Lieder. Sie erzählen von Armut, Einsamkeit, Sehnsucht und einer Utopie der Selbstbestimmung. Mit alten und neuen Country-Liedern wird in Anna Viebrocks Plänterwald-Fragmenten eine Gründungsfeier geprobt. Dass in der DDR Indianistenvereine populär waren, und es sogar den sozialistischen Cowboy Dean Reed als Popstar gab, inspiriert zu imaginären Biografien.

Leider scheint das neu gegründete Areal der Marthaler-Parallelweltbewohner kein Reich der Freiheit zu sein, sondern ein ziemlich fieses Reservat. Ein „Freizeitzwangslager“, wie Christoph Marthaler es nennt. Seine Insassen, die sich als Neugründer fühlen, dürfen das Territorial der Freizeit nicht verlassen. Vielleicht sind sie ein Modellversuch und Teil einer Ausstellung. Irgendwann einmal wird man sie wie den umgestürzten Dinosaurier nachbauen.

Spieldauer: 2 Stunden 15 Minuten

  

Mit: Hildegard Alex (Ehemalige Mitarbeiterin des Kassenwesens), Tora Augestad (Ehemalige Country-Sängerin), Marc Bodnar (Ehemaliger Franzose), Raphael Clamer (Ehemaliger Tiergeist), Patrick Güldenberg (Ehemaliger Verirrter), Olivia Grigolli (Ehemalige Abenteurerin mit Zelt), Ueli Jäggi (Ehemaliger Fahrgeschäftsspezialist), Hardy Kayser (Ehemaliger Country-Gitarrist), Katja Kolm (Ehemalige Managerin der Schwarzen Mamba), Clemens Sienknecht (Ehemaliger Dean Reed-Darsteller) und Lilith Stangenberg (Ehemalige Dauerkartenbesitzerin)

Regie: Christoph Marthaler
Bühne: Anna Viebrock
Kostüme: Anna Viebrock
Licht: Henning Streck
Musikalische Leitung: Clemens Sienknecht
Regie-Mitarbeit: Gerhard Alt
Ton: Klaus Dobbrick
Dramaturgie: Stefanie Carp, Malte Ubenauf

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