So wie SIE ihr Genital benutzt, gebraucht SIE die Sprache, das Obszöne ihrer Realität reicht lange nicht an ihre Artikulationen heran. SIE, eine junge und begehrte Hure, bezichtigt sich der Lust an der Selbstzerstörung ebenso wie der Lust an der Unlust. Im Strudel ohne Ausweg, der weder Anfang noch Ende, Oben oder Unten, weder Rand noch Mitte kennt, offeriert SIE die Befragung ihres Selbst und ihres Körpers, ein Erguss in Worten, voll Hass, Selbstverachtung, gepaart mit Eigenliebe. Wie in einem Loop wiederholen sich quälend ihre Gedanken und Geständnisse, immer leicht verwandelt. SIE benutzt ihn, einen Mann etwa doppelt so alt, ihre dunkle Beschwörung des Selbstmordes in Konsequenz zu vollführen oder vielleicht auch nicht. ER, ein Mann, der SIE besitzen und beherrschen will, der in ihr Erinnerungen an den Vater wachruft (der könnte ja eines Tages als Freier vor ihr stehen) und den Hass auf die Mutter, (die ihre Libido erfolgreich unterdrückt hat), erneut aufleben lässt, diesem Mann beichtet SIE gründlich. Als ER unverhofft Interesse und Wärme, fast Fürsorge für SIE aufbringt, schlägt das Schicksal zu: SIE geht bereits den Weg einer Unerreichbaren. Es ist zu spät.
SIE, Hure und Sexualobjekt, erfährt jede erdenkliche Erniedrigung, - zerrissen zwischen Ekel und Hingabe, - liebt sie die Arbeit, die sich auf die Hündchen-Stellung beschränkt, weil sich nur die Geschlechtsteile berühren, sie das Gesicht verziehen und sogar ein bisschen weinen kann. Überwuchert vom sonnigen Empfinden, in der bezahlten Liebe hausten Momente des Glücks, suggeriert die Sexualisierung unserer Gesellschaft, es ginge sogar um unsere geschlechtliche Befreiung, jenseits der grenzenlosen Lust und ihrer Kontrolle, der schwer erziehbaren Triebe und ihrer Kommerzialisierung, der heimatlosen Gefühle und ihrer Fixierung auf eine Ware.
Auf der Basis des Monologromans von Nelly Arcan, die mit Seele und Körper dieses Debüt schrieb, hat Athanasios Karanikolas, der hier auch Regie führt, einen Abend für zwei Schauspieler entworfen. SIE wird gespielt von Luise Berndt, ER ist Frank Büttner.
Mit: Luise Berndt und Frank Büttner
Regie: Athanasios Karanikolas
Bühne und Kostüme: José Luna
Dramaturgie: Sabine Zielke