Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Lesen: Jakob Hein „Kaltes Wasser“

Musik: Elis Bihn. Moderation: Elisabeth Niejahr (Die Zeit). Buchpremiere


Friedrich Benders Elternhaus ist nicht eben das spannendste. Und eine Jugend in der DDR nicht unbedingt ein wildes Abenteuer. Aber es kommt Farbe in die Sache, als Friedrich im Ferienlager mit der Tochter von englischen Kommunisten anbandelt, die nicht nur Westlerin ist, sondern – Gipfel der Verruchtheit! – auch noch Punk. In den Augen seiner Mitschüler macht ihn das zum neidisch beäugten Star. Der kleine Haken an der Sache: die Punklady gibt es gar nicht. Friedrich Bender hat sie sich nur ausgedacht. Weil das aber niemand wissen muss, besorgt er sich beim Briefmarkenhändler in Berlin-Lichtenberg englische Briefmarken und bekommt nun scheinbar regelmäßig Post von der Insel.

Auch die Berichte von den unglaublichen Erfolgen des Sozialismus, die er als Agitator täglich vor der Klasse vermelden soll, hat er, was Farbigkeit und Spannungsgehalt betrifft, etwas aufgeschönt. Alles, um sich und seine Mitschüler aus dem öden Schwarz-Weiß-Film zu erlösen, den die Lehrer tagtäglich abspulen.

Und während die Wende seine linientreuen Eltern und die meisten seiner Klassenkameraden in jahrelange Schockstarre versetzt, begreift Friedrich die neuen Regeln schnell: Schon bald findet man den Jungen mit dem kreativen Verhältnis zur Realität bei den Wechselstuben am Bahnhof Zoo, wo er sich ein mehr als sattes Startkapital beschafft. Das Geld nutzt ihm dann sehr, als er zu den ersten gehört, die in Prenzlauer Berg anarchistische Szenekneipen aufmachen. In seinem Fall ein umgebauter alter Ikarus-Bus, der bald zum Anziehungspunkt vor allem für spanische und französische Studentinnen wird, die heiß auf unverbindliche Affären mit Berlinern sind.
Als Student schrecken ihn die überfüllten Hörsäle und zähen Seminare an der Freien Universität dermaßen ab, dass er sich einen anderen Weg ausdenkt, zum schnellen Studienabschluss zu kommen. Und im Berufsleben des kapitalistischen Westens scheinen Friedrich dann gar keine Grenzen mehr gesetzt. Während er bei einem großen Versicherungsunternehmen jobbt, findet er sehr schnell heraus, wie er mit möglichst wenig Aufwand den größtmöglichen Nutzen für sich selbst aus der etwas eintönigen Arbeit zieht. Später gründet Friedrich ein Eheanbahnungsinstitut, mit dem er sich direkt in die oberen Gesellschaftsschichten des alten Westberlin hinein beamt. Allerdings muss er dafür seine Herkunft mit einer guten Geschichte vertuschen und eine ganz andere Biografie erfinden.

Dumm nur, wenn man am Ende selbst nicht mehr so genau weiß, wer man eigentlich ist...

Jakob Hein hat einen Schelmenroman über einen Ostler geschrieben, der der bessere Westler ist. Aber auch über jemanden, der mit erfundenen Geschichten so lange vor sich selbst davon läuft, bis nichts mehr von ihm da ist.
Jakob Hein, geboren 1971 in Leipzig, lebt seit 1972 in Berlin. Er arbeitet als Psychiater. Seit 1998 Mitglied der »Reformbühne Heim und Welt«. Er hat inzwischen 14 Bücher veröffentlicht, darunter Mein erstes T-Shirt (2001), Herr Jensen steigt aus (2006), Wurst und Wahn (2011) sowie zuletzt gemeinsam mit Jürgen Witte die Streitschrift Deutsche und Humor. Geschichte einer Feindschaft (2012).

Tickets kosten 6,- Euro.

  

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