Eine einheitliche Gestaltung fügt die Veröffentlichungen des norwegischen Experimental-Pop-Labels Hubro zu einem großen Ganzen zusammen: Jedes Cover ein verwackelter Schappschuss, darauf die Titel in etwas unbeholfenen Großbuchstaben. Eines dieser Cover zeigt eine Küste – Felsen, Brandung, das Meer scheint zu brennen. Es ist die aktuelle Single von Jessica Sligter, »Surrounds, Surrounds Me« heißt sie und das Bild trifft ihre Musik. Sligters Songs haben in der Tat etwas ozeanisches an sich, haben die beruhigende Wirkung eines Gemäldes von Caspar David Friedrich, doch brausen sie manchmal auf, denn irgendwo in der Ferne scheint es zu brennen, irgendwo ist etwas nicht in Ordnung. Die holländische Künstlerin lebt in Oslo, aus ihren früheren Projekten Jæ und Sacred Harp ist «Jessica Sligter« geworden. Sie kollaboriert regelmäßig mit ihren Kolleginnen Jenny Hval und Susanna und geht auch schon mal mit dem renommierten Trondheim Jazz Orchestra ins Studio. Sligter ist eine der großen Entdeckungen des diesjährigen Festivals, denn ihre Musik ist nicht nur komplex und emotional, sondern auf eine ihr eigene Art ausgesprochen politisch. Es ist fast Kritische Theorie, die Sligter in ihren Texten betreibt, feministische und kapitalismuskritische Torch-Songs, gleichermaßen wuchtig und innig.
Die Koordinaten Disco, Lounge, Funk und Fahrstuhlmusik sind nicht unbedingt das, was uns Pop-Connaisseure aus dem kühlen Schatten des aufgeschlagenen Spex-Magazins hervorlockt. Die von Israel nach Berlin verpflanzte Band Hush Moss hat sich eben diese Stichworte auf das Revers ihrer – und jetzt geht es schon los – Seidenhemden geschrieben und macht auch sonst so viel falsch, dass es richtig gut wird. Soulful und sultry sind die zwei Abschreckungsadjektive, die in der Selbstbeschreibung gleich zu Anfang fallen. Der Sänger der ein- bis zehnköpfigen Band erlaubt zwischen Fuß und Bühnenboden nur weiße Tennissocken, und das Intro zu »It Takes a Lot« erinnert zweifelsfrei an die Titelmelodie der Fernsehserie Alf. Denn, ja, es wird natürlich auch Saxophon gespielt. Dass der glatte Yachthafen-Pop der 70er-Jahre ein Revival erlebt war zuletzt an den erfolgreichen Too-Slow-To-Disco-Compilations abzulesen und auch diese Veranstaltung wagte sich mit Künstlern wie Olivier Heim bereits an Deck. Wo die Grenzen zwischen Subversion, Ernst und Satire wirklich verlaufen, mag man die Band selbst fragen, oder (wie wir) die Widersprüche einfach genießen. Bei Piña Colada zum Beispiel.
Die verwegene All-Star-Band mit der Ludwig Plath 2012 beim Torstraßen Festival auf- und Wellen schlug ist in Form von Sean Nicholas Savage, Better Person und Jack Chosef drei eigene Wege gegangen. Und abhanden gekommen ist dem Neu-Leipziger auch das handfeste »Mob«, was dem gefühligen »Touchy« lange zur Seite stand. Vier Jahre danach konstatieren wir: Touchy ist noch immer einer der aufregendsten Musiker dieses Landes, ist gleichermaßen alter Freund und Mysterium, taucht auf, taucht ab, macht sein Ding; immer ein paar Schritte voraus, zu cool für die Songwriter-Bühne, zu warmherzig für den Club. Und dabei hat sich Touchy doch endlich hinreißen lassen, die Songs zu veröffentlichen, die wir seit Jahren nach jedem seiner Gigs mit nach Hause nehmen wollten. »Let My Wild Boys Shine in the Boomers« heißt die Sammlung von Tracks die Plath in Eigenregie und Eigenverlag veröffentlicht hat – kein kleines Meisterwerk, sondern ein großes und irgendwie wieder am Hype vorbeigemogelt. Halb House, halb versponnene Introversion à la The Microphones, auch lyrisch ein Spektakel. Man höre, fühle und staune. Live wurde Touchy zuletzt minimalistisch mit Zigarette am Midi-Controller gesichtet. Weniger ist mehr, wir sind gespannt auf die Reinkarnation!
»Lilac and kindness and honesty. Just… basic things« sagt die junge Frau mit dem nordenglischen Akzent in den ersten Sekunden des neuen Albums Foam Island (Warp) und eröffnet damit ein düster funkelndes Konzeptalbum, die vorläufige Sternstunde der Band Darkstar. Drei Monate haben Aiden Whalley und James Young in ihrer Heimatstadt Huddersfield den Träumen und Ängsten junger Menschen zugehört und so seismographisch eine sich verändernde Lebensrealität eingefangen, um diese mit dem Sound der Band zu verweben. Das Album entstand parallel zum 2015er Wahlkampf und wurde so zum Realitätsabgleich mit den vermeintlichen Leistungen und den vollmundigen Versprechen David Camerons, welcher die Wahlen zur Ernüchterung der Band infolge gewinnen sollte. Das Duo, das sich seit Bestehen des Projekts klammheimlich von Dub-Step zu Synth-Pop, vom Dancefloor in den Alltag geschlichen hat, führt die lange Tradition des social realisms in der britischen Pop-Musik fort. Eine Linie, die von The Smiths über Pulp hin zu The Streets reicht und Quell einer Musik ist, die Hirn- und Herzmuskeln gleichermaßen zucken lässt.
Tagestickets gibt es direkt über die Website des Torstraßen Festivals.