Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 
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Kirschgarten

von Anton Tschechow


1903 endlich die Komödie, das Vaudeville: Es ist Tschechows letztes Wort über das eigentlich vergangene Rußland nach Abschaffung der Leibeigenschaft und vor der revolutionären Zeit - und über das sinnlose Leben an sich.

Ein unschuldiger, wunderschöner Kirschgarten, dessen Besitzer, Angestellte und Freunde des Gutes goldene Zeiten und verzückte Erinnerungen an ihn teilen, muß unter den Hammer. Da nutzt auch ein Eintrag im Konversationslexikon nichts. Die Unfähigkeit zu handeln und finanzieller Leichtsinn haben die Besitzer Ranjewskaja und Gajew an den Rand des Ruins gebracht. Der Kaufmann Lopachin, von Leibeigenen des Gutes abstammend, drängt zur Rettung: Parzellieren, Verpachten, Datschenbau. Alle ignorieren diesen Vorschlag und warten lieber auf Geld von der Tante oder andere Wunder. Sie vergießen Tränen, lassen sich verzaubern oder unterhalten. Die Tränen unterdrücken Hysterie und produzieren entrückte Affekte. Hier setzt die grelle Komik Tschechows an: Missverständnisse, die Unfähigkeit zur Kommunikation, eine Sprache, der keine Tat folgt und das Verkennen von Situationen bürgen für das Absurde.
Die Menschen im Stück tun nichts. Nur das sich vollendende Schicksal des Kirschgartens liefert die Handlung. Lopachin, der sich immer noch als Bauer sieht und schon als Junge die Herrin Ranjewskaja wegen ihrer Fürsorglichkeit und Streicheleinheiten liebte, will helfen und wird unfreiwillig zum Macher des Schicksals für alle, indem er den Kirschgarten kauft und fällen lässt.
Ranjewskaja, bereits kräftig von Unglücken gebeutelt, braucht die Misere, sonst hätte ihr Leben keinen Sinn. Ohne Schicksalsschlag kann sie nicht sagen: Ach, könnte ich nur meine Vergangenheit vergessen. Während die anderen in ein neues Leben aufbrechen müssen oder wollen (Arbeit!), reist Ljubow Ranjewskaja gerdadewegs ins nächste Unglück. Man hat sich umgedreht, ist gegangen und hat alles vergessen. Alles wie immer. Aus der Ferne vernimmt man nur noch das Fällen der Bäume. Aber was macht das schon?
Anton Tschechow, der an das Sinnlose im Leben glaubte und nicht an Gott, der sich im Inneren früh von seinem prügelnden und vom Glauben besessenen Vater lossagte, hat als Arzt, lange schwerkrank, und auf seinen Reisen alle Schichten Rußlands kennengelernt und genau beschrieben, wo das Vergangene mitgeschleppt und vom Neuen hinweggehaucht wird. Tschechow hat die Extreme und Abgründe des Lebens nicht nur gesehen, sondern erkannt.

Mit diesem opulenten Stück wird der 3. Stock in der Raumgestaltung durch Gero Troike wiedereröffnet. Ein Raum, der auf seine Architektur vertraut und sich dem Abgeschlossenen verweigert. Ein weiterer, oft erprobter Abschied von der vierten Wand steht an. Ein modellhafter Raum, der keine Bühne vorgibt und erobert werden muss.

  

Mit: Franziska Hayner (Ranjewskaja Ljbow Andrejewna, Gutsbesitzerin), Lisa-Theres Wenzel (Anja, ihre Tochter), Mandy Rudski (Warja, ihre Ziehtochter), Sina Kießling (Gajew Leonid Andrejewitsch, ihr Bruder), Betty Freudenberg (Lopachin Jermolaj Aleksejewitsch, Kaufmann), Jörg Henkel (Trofimow Pjotr Sergejewitsch, Student), Mario Pokatzky (Simeonow-Pischtschik Boris Borissowitsch, Gutsbesitzer), Sabine Zielke (Scharlotta Iwanowna, Gouvernante), Irina Kastrinidis (Epichodow Semjon Pantelejewitsch, Büroangestellter), Claudia Geisler (Dunjascha, Zimmermädchen), Horst Mendroch (Firs, Diener, ein alter Mann) und Samia Dauenhauer (Jascha, ein junger Diener)

Regie und Bühne: Gero Troike
Kostüme: Dorothee Curio
Dramaturgie: Sabine Zielke

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