Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Kunst und Gemüse, A. Hipler - Theater als Krankheit

Eine Christoph-Schlingensief-Produktion


2004, kurz nach seiner ersten Bayreuth-Inszenierung, arbeitet Schlingensief mit einem internationalen Team zusammen und tritt gemeinsam mit der Volksbühne als Produzent auf. Das Performance-Kunstprojekt startet am 17. November 2004 und trägt den Titel „Kunst und Gemüse, A. Hipler“. Es handelt sich um die erste transkontinentale Regiearbeit des Zimbabwers Hosea Dzingirai. Neue Musik, neue Kunst und junges Gemüse nach Motiven aus Arnold Schönbergs Oper „Von heute auf morgen“. So erklärt Christoph Schlingensief dieses Gemeinschaftskunstwerk: „Mit einem internationalen Produktionsteam unter Leitung von Hosea Dzingirai stellen wir Schönbergs Oper in einen Kunstkontext. Eine Kunstinstallation, die vieles umfasst: Bildende Kunst und Aktionskunst, Video, Theater und Musiktheater. Musikgeschichtlich ist Schönberg die Antwort auf Wagner. Arnold Schönbergs Musik rechnet nach Adorno „endgültig mit dem fließenden, funktionellen Wagnerklang ab“. Sein „Bruch mit dem Wagnerschen Funktionalismus lässt die wuchernden Spannungen aus dem Klang verschwinden“; so schrieb Adorno 1930 nach der Uraufführung von Schönbergs erster Zwölfton-Oper »Von heute auf morgen«, „gleichwohl, bleibt der Klang keine Sekunde statisch; nur sein Leben ist nicht das des verzehrenden Triebes, sondern die Bewegung eines geretteten Kaleidoskops, dessen Figuren lesbar werden, wie die leuchtend bewegte Schrift der abendlichen Transparente in großen Städten.“ Schönbergs Musik bildet den Ausgangspunkt. Die Figuren des Kaleidoskops betreten die Bühne, sie bewegen sich funktionslos und in einer völligen Freiheit, die nur durch die Form begrenzt ist, die selbst frei gewählt und letztlich willkürlich ist - wie die Zwölftonreihe bei Schönberg. Die befremdlichen Effekte, die solche Freiheit in der Kunst seit dem Beginn der abstrakten Malerei und in der Musik eben seit Schönberg erzeugt, sind bekannt. Wir versuchen, für sie im Theater eine Entsprechung zu finden. Zwölf Darsteller haben wir den einzelnen Tönen der Zwölftonreihe zugeordnet, jeder verkörpert in seiner Eigenart einen Ton. Sie haben die Aufgabe, in ihrem Verhalten auf der Bühne Entsprechungen zum Atonalen, zum Polyphonen und manchmal zum Harmonischen in der Musik zu suchen. Entsprechend bewegen sie sich. Dieses könnte so etwas sein, wie der selten versuchte Anschluß des Theaters an Entwicklungen in der bildenden Kunst und Musik der Moderne. Die Inhalte der Oper und der andern Elemente dieser Installation zwischen Traum und Wirklichkeit werden dabei kaleidoskopartig gebrochen, sollen aber in ihren Referenzen erkennbar bleiben. Auf der Bühne entsteht so eine „zweite Musik“, die man nicht hören aber sehen kann. Unsere Zuschauer sollen sich diese Installation so ansehen, als wären sie in einer Kunstausstellung. Der Unterschied zur herkömmlichen Präsentation von Kunstwerken besteht darin, dass nicht die Besucher dieser mobilen Installation sich bewegen, sondern die Kunstwerke: Sie laufen sozusagen an den Zuschauern vorbei und sind aktiv, während der Zuschauer, wie im Theater üblich, zu weitgehender Passivität verurteilt ist. Angela Jansen, die seit dem Nikolaustag 1998 vollständig bewegungsunfähig aber ansonsten gesund im Bett liegen muss, weil sie an ALS leidet, spielt die wichtigste Rolle in diesem Stück. Sie kann nur mit den Augen kommunizieren, mit denen sie über eine Laserkamera den Computer animiert, auf dem dann zu lesen ist, was sie sagt. Von ihr stammt der Satz: „Mir fehlt nichts, ich kann mich nur nicht bewegen“. Bei »Kunst und Gemüse« wird sie aktiver sein als jeder Zuschauer.“ Carl Hegemann, 2004 Teilnehmer u.a.: Maria Baton, Andrea Erdin, Horst Gelonneck, Kerstin Grassmann, Peter Müller, Christian Roethrich, Reami Rosignoli, Katharina Schlothauer, Anna Warnecke, Karin Witt, Ulrike „Bebby“ Bindert, Max von Mayenburg, Augustin Maurs, Christian Vogel, Martin Losert, Matthias Jann, Arno Waschk, Christiane Tsuereas Weitere Teilnehmer: Marcel Duchamp, Bruce Naumann, Dieter Roth, Paul McCarthy, Jörg Immendorff, Angela Jansen, Park Yung Min, Carl Hegemann, Henning Nass, Uwe Altmann, Monika Böttcher, Heike Schnepf, Ainu Laberenz, Udo Kier, Corinna Harfouch, Peter Kern, Irm Hermann u. v. a. Eine Christoph Schlingensief-Produktion in Zusammenarbeit mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin. Erste Vorstellung am 17. November 2004. 2005 Einladung zum 42. Berliner Theatertreffen Informationen zu ALS siehe www.schlingensief-als.de Weitere Informationen unter www.schlingensief.com
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