Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Lesen: Jekaterina Sadur „Insel der Glückseligen oder Berlin für die Russen“

Aus dem Russischen von Olga Kuvschinnikova und Ingolf Hoppmann


Lesung: Jekaterina Sadur und Ludmila Skripkina Performance und Lesung: Dasniya Sommer Klarinette: Susanne Folk Violine: Chatschatur Kanajan Wer ist heute ein Held? Wie weit würde man gehen, um Ideale und eigene Prinzipien zu verteidigen und dafür zu leiden? Der Wohlstand hat beruhigt und träge gemacht. Wenige sind bereit zur Seite zu rücken, wenn ein anderer sich neben ihn setzen will. Heute kommt man sich fast ,,heldenhaft" vor, wenn man kleine Körperverletzungen im Morgengedränge des Apple Stores bekommt oder diese verübt, um das neuste I-Pad zu ergattern... In dem Stück "Insel der Glückseligen" von Jekaterina Sadur geht es um einen jungen Mann, der im Februar 1933 angeblich am Brand des Reichstages beteiligt war. Wer war dieser Mensch? Ein religiöser Fanatiker? Ein Kommunist? Ein Opfer? Oder ein Held? Es wird in der Musikbar ,,Insel der Glückseligen" in Charlottenburg heftig darüber diskutiert, und jeder hat seine eigene Meinung dazu... Die Bar auch ein Zufluchtsort vor dem Kommenden. Im Hintergrund sieht man den brennenden Reichstag, die russische Sängerin Olga und drei ihrer Musiker feiern, sie amüsieren sich, gleichzeitig wird über Hitler und über die Kunst diskutiert, Berlin des Jahres 33 mit dem alten Rom zu Zeiten von Kaiser Nero verglichen, der Reichstagsbrand mit dem Verbrennen der ersten Christen. Das ist ein Festmahl mitten in der Pest, "die letzte Wonne des Ertrinkenden vor dem Tod". Der Titel "Insel der Glückseligen" ist ein Zitat von Nietzsche, ein Ort, wohin nach dem Tod alle Dichter und Gerechten sich begeben. Leseprobe MARTIN Ich stimme dir zu: Van der Lubbe ist verloren. Er war es von Anfang an. (Pause) Niemand von uns hat auch nur die geringste Vorstellung von jenen Elendsquartieren, in denen er aufgewachsen ist. Dort gab es nichts außer Schmutz und Dreck, Elend und Verzweiflung, und kaum geboren, warteten die Menschen nur noch auf den Tod. Eines Tages fragte er mich: „Sag, Martin, ist es dieses Leben wirklich wert, dass wir so verzweifelt darum kämpfen?“ Ich wusste keine Antwort. Ich habe seine Scherze nie ganz verstanden, so wie damals der russische Pianist die Scherze des russischen Dichters in Paris nie verstand... Aber irgendwo tief in mir drin wusste ich, dass er Recht hat mit seiner bedingungslosen Wahrheit. .. Und jetzt denke ich: Was hat van der Lubbe gefühlt, als er aus seinen schäbigen Fabrikhallen kam und dort im Reichstag stand, zwischen kaltem Marmor, protzigen Kaminen und schwebenden Spiegeln in vergoldeten Rahmen? Niemals in seinem ganzen kurzen Leben hatte er so etwas gesehen. Niemals hatte er auch nur die Zeit gehabt, darüber nachzudenken, was es in der Welt für einen Luxus gibt... Und da begriff er schlagartig, dass er dies alles auf der Stelle in Brand stecken muss, dass er alle 23 Jahre seines eintönigen Lebens nur gelebt hat, um das alles zu vernichten... Was hat er gefühlt in diesem Moment? Was? (Pause) Und, ja... Ja, ich verabschiede mich von ihm! Ich habe ihn aufgegeben. DIMITRIJ Ich erkenne die Handschrift der Kommunisten! Ihre hinterhältige Art. Ich wittere sie... wie das freie deutsche Volk jetzt sagt. Ich wittere sie mit meinem ganzen Wesen. Einen Fanatiker zu opfern, sein Blut zu schlürfen und dadurch noch ein winzig kleines Schrittchen näher an ihr armseliges Ziel zu gelangen... Harold hat sie treffend bezeichnet: Die Küchenschaben bei „Fräulein Else“. Martin Van der Lubbe ist kein Fanatiker. Er ist ein treuer Anhänger seiner Idee. Er lebte, um für sie zu sterben. Das verdient unbedingten Respekt... Tickets kosten 6,- Euro.
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