Tonregie: Christoph Kalkowski
Zeichnungen: Frank Diersch
Einrichtung: Inés Burdow
URRO-Gebrüll-Auszug:
…Und so forderst du deinen Anteil ein, am Tisch der Menschenfresser,
denn auch du verdienst es, gefressen und verschlungen zu werden
und in Wahrheit willst du nicht sehen, dass du um deine Arbeitskraft zu verkaufen,
zuerst
ununterbrochen
überall
im Workshop
in der Bar
am Elternabend
beim Familienessen
deine Freizeit verkaufen musst in Management-Aktien, in Wohltätigkeit
für dein kapital,
aber umsonst, klar,
für Umme, kein Ding Mann,
ehrenamtlich, was sonst, du bist eben ein korrekter Typ,
du bist multitasking, ein Wunderknabe, jemand nannte das mal
Biomacht, du ganz allein, mit deinen in Rating-Agenturen unvergleichlich
wachsenden Beschäftigungschancen,
schaffst in einem Anlauf den Quantensprung über die Krise Portugals und Griechenlands hinweg, nehmt das!, dein Traum ist es, die perfekte Synthese aus Arbeiter und Kapitalist zu werden, von Niederlage zu Niederlage bis zur endgültigen Mobilisierung!, du schaffst es, du hast das Zeug dafür, die Leistungsgesellschaft hat ihre Vorzüge, verdammt, du hast Werte, die anderen wollen doch gar nicht arbeiten, die Faulenzer, Penner, leben auf Kosten der Anderen, du weißt, wovon du sprichst, dein kosmisches Bewusstsein ist allumfassender, als eine Vollversammlung der UNO, jawoll, die Arbeit ist total schön, oder?, du hast nicht einmal mitbekommen, dass die Ideologie des Proletariats seit langer Zeit tot und begraben ist, am fatalen Walzer zwischen Kapitalismus und Marxismus ist sie verreckt, du hättest gern eine geregelte Fabrikruhe im Callcenter, eine würde Arbeit, erbaulich, du willst Vollzeit ausgebeutet werden …
Inés Burdow ist Schauspielerin, Sprecherin und Autorin. Sie war u.a. am Berliner Ensemble engagiert, spielte Hauptrollen in der Oper, arbeitet für die Kulturradios der ARD-Anstalten und dreht fürs Fernsehen. Ihr Feature-Porträt „Die Unvollendete“ über die Schriftstellerin Brigitte Reimann war 2013 für den Juliane Barthel-Medienpreis nominiert. 2015 bekam Burdow den Kunstförderpreis des Landes Brandenburg im Bereich Literatur.
Júlio do Carmo Gomes studierte Journalismus in Portugal und Film in Frankreich. Er arbeitete als Journalist in Portugal, als Reporter und Redakteur auf den Kapverdischen Inseln und als Vermittler für kommunale Kommunikationsprojekte im brasilianischen Amazonasgebiet, in Gemeinden der Nachkommen indigener Bevölkerung. Er gab den Journalismus 2007 auf, um in Porto mit dem Gato Vadio eine Buchhandlung und gleichsam einen Raum für soziale Intervention zu schaffen. Er ist Mitbegründer des Verlages 7 Nós und organisiert die Jornadas da Soda Caústica, eine internationale Konferenzreihe zu Theorie und Praxis emanzipatorischer und partizipativer Politik. Er übersetzte unter anderem Autoren wie W. Gombrowicz und Michael Albert, veröffentlichte Essays über Joseph Beuys, Paul van Ostaijen, Ghérasim Luca und R.L. Stevenson. Im Verlagsprogramm von 7 Nós eröffnete er den portugiesischsprachigen Lesern Autoren wie Ingo Schulze, Joseph Beuys, W.T. Vollmann, Michael Bulgakow oder Paul van Ostaijen. Die Krise veranlasste ihn, sein Land zu verlassen. In Berlin gründete er das internationalistische Utopie-Magazin mit. Hier ist auch der Text Urro - Gebrüll erschienen.
Außerdem wird das neue Magazin UTOPIE – Magazin für Sinn und Verstand, dem URRO – Gebrüll entnommen ist, vorgestellt. Ein Magazin macht sich auf, die Vorstellungswelten der Utopie zu reanimieren.
Die Utopie hat keine binäre Beziehung mit der Realität, sie ist kein Kompromiss zwischen unmöglich/möglich. Vorher ist sie eine unkontrollierbare Kraft, die unserer prekären und wechselhaften Realität innewohnt. In diesem Sinne betonen wir, bevor wir die Utopie als den Plan einer Zukunft vorschlagen, als TOPOI, die der Materialisierung bedürfen, die prozesshafte Tugend ihrer Vergegenwärtigung im Geiste – hier IN uns, dieser Alchemie, die die Summe von Seele, Geist, Verstand, Körper, Sinnen, Haut, Eingeweiden überschreitet -, als einen permanenten Angriff auf die Realität.
Für eine bestimmte abtrünnige Denkart, eine Denkart, die wir als die poetische Denkart bezeichnen können, bedeutet utopische Angriffe in Umlauf zu bringen, deren Umarmung wir dem Leser vorschlagen, im äußersten das Risiko einer Wirkung, die über sich selbst hinausgeht und das politische Leben trifft.
Edition silvestre e. V.
Die prozesshafte Tugend ihrer Vergegenwärtigung
Tickets kosten 6,- Euro.