Im Jahre 1969 explodiert in Erfurt die Domuhr, und der junge Mathematiker Eduard Meißerl verliert sein Gedächtnis. Beide Ereignisse sind zugleich Anfang und Ende dieser tragikomischen Geschichte über eine kleine Gemeinde vertriebener Sudetendeutscher, deren wunderliche Lebensspuren im Übergang zwischen Erinnerung und Zukunft verlaufen.
Es geschieht einfach so, eines Tages in einer Erfurter Konsum-Filiale: Eduard, der Mathematiker und Zeitpedant, verliebt sich in Anna, die Sängerin. Den lieben langen Tag singt sie in ihrem Filialleiterbüro und hat mit ihrer Stimme nicht nur Eduard sirenengleich angelockt. Paul Händl, Eduards Freund aus Kindertagen, geht es hingegen weder um Kunst noch um Zahlen und auch die Zeit schert ihn nicht, denn er will die verlorene Heimat zurück, das Egerland, aus dem sie alle nach Kriegsende vertrieben wurden: Eduard und seine Mutter Ella, Paul und sein wetterwendischer Vater, die Regalsteher im Braumann’schen Laden und Exgeheimrat Emil Gumpl. Hier in Erfurt ringen sie seither mit ihren Erinnerungen wie die Dämmerung mit der Nacht. 1969, genau am Tag des Eishockeyspiels UdSSR gegen CSSR, bricht Paul zu einer Kundgebung für die Rechte der Sudetendeutschen nach Prag auf. Auch Eduard landet, ganz gegen seine Absicht, zur selben Zeit in der tschechoslowakischen Hauptstadt, und von da an lungert einmal nicht die Erinnerung in ihren Köpfen herum, sondern schlägt die sozialistische Gegenwart zu.
Emma Braslavsky erzählt in ihrem Debüt vom Leben hinter dem Wort »Vertreibung«. Was eigentlich ist Erinnerung und was macht das Gedächtnis mit uns Menschen? Ein Stück deutsche Geschichte wird hier auf ebenso liebevoll ironische wie sprachmächtige Weise vor dem Vergessen bewahrt.
Emma Braslavsky, geboren 1971 in Erfurt, stammt aus einer sudetisch-katholischen und schlesisch-protestantischen Vertriebenenfamilie und floh 1989 über Ungarn aus der DDR. Sie studierte Russistik, Italianistik und Südostasienstudien. Seit 1999 arbeitet sie als freie Autorin und Kuratorin in Berlin. Sie ist Mitbegründerin und künstlerische Leiterin des papirossa - netzmuseums für sprache und Vorstandsvorsitzende des interdisziplinären Kunstvereins GdK Galerie der Künste e.V. Berlin. 2005 erhielt sie das Werkstatt-Stipendium des LCB für die Arbeit an diesem Roman.