Mit Corinna Harfouch, Maximilian Brauer, Patrick Güldenberg und TERVISAX (Bläserquartett)
Warum fehlt ein Spröder, Unbestechlicher, ein Dickschädel mit dem Talent fürs Theater, fürs Schreiben, fürs Malen? Einer, der nur sein Gesicht im Film zeigen musste, und ein ganzes Leben offenbart sich. Einer, der Kunstwelten baute, die vom Widerspruch zum Weltlichen lebten und doch Teil dessen waren. Fernab vom Realismus, heute Authentizität genannt. Vielleicht ist es die Sehnsucht der jüngeren Künstlergeneration, auch übers eigene Leben hinaus zu wirken, unverkennbar zu sein und zu bleiben. Doch das bewog Fritz Marquardt nicht. Aus seinem Leben lernt es sich zuerst: Er hat nie gemacht, was er nicht wollte, was nach sich zog, dass er aneckte und auch mal rausflog. Fritz Marquardt blieb im wahrsten Sinne des Wortes mit beiden Beinen auf dem Boden. Er betrieb, besonders in den letzten Jahren, Ackerbau in der Uckermark. Denn er kam vom Dorf. Daher die Bauernschläue, die er selten verbalisierte.
Acht Inszenierungen hat Fritz Marquardt an der Volksbühne als Regisseur gemacht, unter anderem „Der Menschenhasser“ (1975), „Die Bauern“ (1976) und „Der Bau“ (1980), und gehört damit zu den Regisseuren, die die Zeit mit Benno Besson als Intendant prägten. Nach seinem Rückzug vom Theater wurde es in der Öffentlichkeit stiller um Fritz Marquardt. Eine Rückkehr in die Volksbühne gab es im Jahr 2008 zu seinem 80. Geburtstag und ein paar Monate später zur Buchpremiere seines Arbeitsbuches „Wahrhaftigkeit und Zorn“. In diesen Momenten hat er sich allein durch seine Anwesenheit wiederholt ins Gedächtnis dieses Theaters eingeschrieben.
Genau ein Jahr nach seinem Tod lesen Schauspieler der Volksbühne, bereits in der dritten und vierten Generation nach Fritz angekommen, unbekannte Texte des Regisseurs und Dichters Fritz Marquardt aus dem Nachlass. Wir zeigen Filmausschnitte aus „Die Bauern“ und Filmschnipsel mit Fritz Marquardt. Im zweiten Teil läuft der Film „Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow“ (DDR, 1973) mit Fritz Marquardt in der Titelrolle.
Dank an Thomas Heise für Konzeption und Recherche.
Tickets kosten 6,- Euro bzw. 3,- Euro (ermäßigt).
Fritz Marquardt
(1928 – 2014)
1
„Ich habe mich in Neustrelitz und Annaberg und weiß der Teufel wo verpflichten wollen, doch die wollten mich nicht. Beim zentralen Bühnennachweis sagte man mir: ‚Sie haben gar keine Qualifikation keine Voraussetzungen fürs Theater. Sie haben sich bloß eingeschlichen.’ Mich in ein Kulturhaus zu schicken, wären die bereit gewesen. Aber meine Theaterqualifikation sei eine Anmaßung. Stimmte ja auch.“
2
Heiner Müller spricht von Fritz Marquardts Selbstaussage, die einzige Möglichkeit, Sibirien zu überleben, sei, man würde Kommunist. Die aus dem Nachlaß gefischten Texte Marquardts, Erinnerungen, Notate und Prosaversuche in (schlesischer) Mundart, lassen die Vermutung zu, daß die sibirische Erfahrung seine Theaterarbeit nicht nur in zehn Jahren an der Volksbühne begleitet hat. Ein Kommunist im Kampf für die Linie, die zugleich die Grenze zieht zum Künstler. So gesehen steht Fritz Marquardts Theaterbiographie auch heute exemplarisch für ein Künstlerleben, das immer auch ein Kampf, nicht nur ein innerer, zwischen den Fronten des Individualismus, der Ideologie und einer selbstbestimmten Ausdrucksmöglichkeit ist. Seine Alternative zu beidem, Kommunist-und/oder-Künstler-sein, war der Acker. Er blieb mit beiden Beinen auf dem Boden, wo er herkam, auf dem Land. Denn: „Unter allen Bühnenbrettern hast du Erde irgendwann.“
© Ina Voigt