„Friss Ananas, Bürger und Haselhuhn wirst bald deinen letzten Seufzer tun“ dichtet der junge, irre Wladimir Majakowski bei einer bürgerlichen Soiree im Schicksalsjahr 1917. Im Wirrwarr zweier Revolutionen zwischen März und Oktober, zwischen der Abdankung des Zaren und der Machtübernahme der Bolschewiki, befindet sich St. Petersburg im permanenten Ausnahmezustand, in einer gesellschaftlichen Umbruchsituation, in der alles denkbar und möglich scheint, in der Machtpolitiker, Proletarier, das Bürgertum, die Künstler wie in einer physikalischen Versuchsanordnung gegeneinander antreten und sich durchsetzen wollen. Fast scheint es, als schwebe die Stadt in einer Blase über der wirklichen Welt des grausamen Ersten Weltkrieges, der einfach weitergeht, bis die Bolschewiki die Blase platzen lassen und die Künstler mit dem Terror der neuen Weltordnung auf die Füße fallen.
Das ist das Szenario in Katrin Rothes neuem Film, einem dokumentarischen Animationsfilm. „2,5 D Film“ nennen Katrin Rothe und ihre Animateure diesen Ansatz: wunderbar gezeichnete und aquarellierte Hintergründe, darauf illustre Protagonisten wie Maxim Gorki, Kasimir Malewitsch oder die Chronistin Sinaida Hippius, aus Balsaholz, Stoffresten, Verpackungsfolie animiert. Die Filmemacherin ist immer präsent, schneidet aus schwarzem Karton die revolutionären Massen aus, lässt diese vor die gezeichnete Eremitage wandern, klebt Pappe mit Texten, Fotos, Zeichnungen auf die blutrote Spur der Chronologie in ihrem Atelier. Das ist extrem haptisch, von großer Sinnlichkeit und passt wunderbar zum Thema. Auch das Jahr 1917, das sie aus der Sicht und mit Texten der russischen Künstler und Avantgardisten beschreibt, wirkt wie die Bastelstunde, in der die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Formen zusammen collagiert werden. Ergänzt durch kurze, prägnante Filmaufnahmen aus dieser Zeit, entsteht so das Panoptikum einer sehr persönlichen Geschichtslehrstunde, bei der es Katrin Rothe gelingt, ihren Animationsfiguren pralles Leben einzuhauchen. Wie der junge Majakowski überall hinrennt, wo er Schüsse hört, in völliger Aufregung mittendrin sein will in der Veränderung, während Gorki verzweifelt an der Schnelllebigkeit der Zeit, in der er versuchen muss, Kunst und Kultur gegen das Wüten der Anarchisten der Gegenwart zu bewahren, diese Figuren sind brillant animiert. Heraus kommt eine höchst unterhaltsame Geschichtsstunde.
Michael Busch
Im Anschluss: Das Friedel Live Beatbox
Tickets kosten 8,- Euro bzw. 6,- Euro (ermäßigt).
Premiere im Rahmen von achtung berlin – new berlin film award
1917 - Der wahre Oktober - Trailer from maxim film on Vimeo.