Dieser Film ist beides, eine rasende Fahrt auf den Abgrund zu und ein Auf-der-Stelle-Treten, die Sprache ist der Tanz und die Musik. Im Tanz spricht der Körper, die Bewegungsabläufe, die Form, in der Musik sind es die Töne und Tonfolgen, die etwas Außersprachliches und dennoch Präzises mitteilen. Beides, Tanz und Musik sind die Elemente, auf die viele der Szenen des Films hinsteuern, wenn die Wörter ausgereizt sind.
Der neue Film des Regieduos Christine Groß und Ute Schall ist ganz auf den Schauspieler und Tänzer Jean Chaize maßgeschneidert. Der spielt hier in einem eindringlichen Parforceritt durch Berlin einen Balletttänzer Mitte Fünfzig, eine Karriere längst vorbei oder noch nicht in Sicht, er ist chronisch pleite und das Leben entgleitet ihm, sinnbildlich, wie er mit dem Fahrrad durch den dichten Verkehr kurvt. Der Tänzer misstraut zutiefst der Sprache, er will nicht festgelegt werden. Seinem Freund, dem Jazzmusiker Roman Ott, der den betörenden Soundtrack zu diesem Film geliefert hat, sagt er, dass er immer noch auf sich wartet, er sei noch immer nicht irgendwo angekommen, es gibt keinen dauerhaften Zustand, es gibt nur Übergangsszenarien, den Wechsel der Aggregatzustände. Überhaupt Worte, in diesem Film sind sie immer nur Missverständnis, Spielball, nie so greifbar und präzise wie die Sprache der Musik und die Körpersprache des Tanzes.
Hier erhält das „Coming of Age“ eine besondere Dramatik, eindrücklich erzählt in einer Szene in einem Umkleideraum, in dem sich mehrere alte Tänzer wortlos auf eine Audition vorbereiten und sich umziehen. Wie sie dabei verstohlen die von der Zeit gezeichneten, nackten Körper der Konkurrenten mustern, ist ein starker Moment. Die große Frage steht im Raum, ist das Älterwerden das Ziel des Lebens? Ute Schall und Christine Groß haben mit diesem Film das Sich-durchs-Leben-treiben-lassen aus der Sphäre der Berufs-Jugendlichkeit befreit und beschwören damit das Heraufkommen des Alters in diesem melancholisch trotzigen Tanzfilm.
Der Tänzer (D 2016, 73 Min.)
Mit: Jean Chaize, Brigitte Cuvelier, Bastian Trost, Roman Ott, Marie Löcker, Margarita Broich, Christine Groß u.a.
Regie: Ute Schall / Christine Groß
Buch: Ute Schall, Christine Groß, Martina Bosse, Jean Chaize und Brigitte Cuvelier
Kamera: Hannes Francke
Ausstattung: Nina von Mechow
Choreografie: Brigitte Cuvelier
Musik: Roman Ott
Tickets kosten 8,- Euro bzw. 6,- Euro (ermäßigt).