Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Sehen: Whatever happened to Gelitin

Film von Angela Christlieb (AT 2016, 82')


In diesem Film geht es um das Gegengewicht zum Kapitalismus. Es ist eine Feier des Unbenutzbaren, Unvereinbaren, des sinnlosen verschwenderischen menschlichen Seins! Es geht um die große Kraft des Nutzlosen. Es geht um Anarchie und Kunst.

Angela Christliebs neuer Film feiert die österreichische Performance-Gruppe Gelitin (Wolfgang Gantner, Ali Janka, Florian Reither, Tobias Urban); sie greift dabei auf verschwenderisch schönes Archivmaterial zurück und hat daraus einen Kultfilm im besten Sinne gemacht.

Das Quartett wurde bekannt mit ebenso grenzgängerischen wie bildstarken Performances, Skulpturen, Installationen und Fotoarbeiten. Da wälzt man sich lustvoll im Matsch, lädt das Publikum zur Kunstzerstörung ein, inszeniert Modefotografie, bei der Stofftiere an Hoden befestigt werden, überhaupt treten die vier jungen Künstler meistens nackt auf. Kunst ist anarchisch. Sie wird vereinnahmt vom kapitalistischen Kunstmarkt, von Galeristen, Geldmachern, die das als Frischzellenkur des Kunstbetriebs dringend zum Überleben brauchen. Die Gelitins liefern genau diese Kur. In bester Wiener Aktionismus-Nachfolge ergründen ihre lustvollen Performances Tabus und Schocks und nehmen den Zuschauer als Teilnehmer mit auf einen Selbsterfahrungstrip, der immer wieder die Grenzen des guten Geschmacks auslotet. Das machen auch die Galeristen, Kunsthändler, Kuratoren, befreundeten Künstler durch, die in diesem Film zu Wort kommen, die sich dieser fröhlichen Künstlergruppe aussetzen.

Die Klammer um das Performance-Material-Archiv ist nämlich ein großes Dogma des Kunstbetriebs: Je „verschwundener“ man ist, desto interessanter wird man. Die vier Gelitins verschwinden, der rasende Reporter Salvatore Viviano nimmt ihre Fährte auf, reist nach New York und Baltimore, fängt vor der Kamera augenzwinkernde Statements von Liam Gillick, Tony Conrad und vielen anderen ein. Der alte Edelmann John Waters, ein Experte des guten Geschmacks, gerät richtig ins Schwärmen: „They are troublemakers and I love troublemakers“. Auch der ehrwürdige Prinz Charles oder das Louvre kommen nicht an den Gelitins vorbei. Und am Ende stockt einem ein wenig der Atem, weil da Kunst an die große Geschichte der Welt andockt. Die Troublemakers machen am World Trade Center eine Kunstaktion, indem sie dort in schwindelerregender Höhe einen Balkon anbringen, auf dem sie stehen und von einem gecharterten Hubschrauber aus fotografiert werden. Die Ausstellungseröffnung dazu war am 11.09.2001.

Michael Busch


Mit: Agnes Husslein-Arco, Liam Gillick, John Waters, Tom Sachs, Salvatore Viviano, Christian Meyer

Tickets kosten 8,- Euro bzw. 6,- Euro (ermäßigt).

  

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