„In dieser großen Zeit, die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wieder klein werden wird, wenn ihr dazu noch Zeit bleibt; [...] in dieser Zeit, in der eben das geschieht, was man sich nicht vorstellen konnte, und in der geschehen muß, was man sich nicht mehr vorstellen kann, und könnte man es, es geschähe nicht –; in dieser ernsten Zeit, die sich zu Tode gelacht hat vor der Möglichkeit, daß sie ernst werden könnte; von ihrer Tragik überrascht, nach Zerstreuung lang, und sich selbst auf frischer Tat ertappend, nach Worten sucht; in dieser lauten Zeit, die da dröhnt von der schauerlichen Symphonie der Taten, die Berichte hervorbringen, und der Berichte, welche Taten verschulden: in dieser da mögen Sie von mir kein eigenes Wort erwarten.[...] Zu tief sitzt mir die Ehrfurcht vor der Unabänderlichkeit, Subordination der Sprache, vor dem Unglück. In den Reichen der Phantasiearmut, wo der Mensch an seelischer Hungersnot stirbt, ohne den seelischen Hunger zu spüren, wo Federn in Blut tauchen und Schwerter in Tinte, muß das, was nicht gedacht wird, getan werden, aber ist das, was nur gedacht wird, unaussprechlich. Erwarten Sie von mir kein eigenes Wort!“
Karl Kraus, In dieser großen Zeit. In: Die Fackel Nr. 404, 5. Dezember 1914
Im Antikriegsdrama „Die letzten Tage der Menschheit“ philosophieren zwei Kriegstheoretiker, der „Nörgler“ und der „Optimist“, über die europäische Begeisterung des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges. Aus verschiedenen Perspektiven (die des Nörglers wird dem Kriegsgegner Kraus zugeschrieben), diskutieren die beiden die Konsequenzen des Krieges für das militärische und das zivile Leben, das den Aspekt der wirtschaftlichen Motivationen, die Gewinn-Verlust-Rechnung einschließt. Über die bissigen und scharfen Dialoge bricht Musik des Jahres 1914 herein, die Annäherung an eine zurückliegende Zeit über die Zwiesprache zwischen Text und Klang. Populäre Lieder sowie Instrumentalstücke aus der Zeit stechen durch pointierte Kürze und einen ironischen Unterton hervor. Sie zeigen in den Sujets, dass die Zeitgenossen nicht nur politisch debattierten oder den ausziehenden Regimentern zujubelten, sondern auch alltäglichen Vergnügungen nachgingen. Die Balance zwischen dramatischer Zuspitzung der Thematik und sarkastischer Leichtigkeit der Präsentation knüpft an die besten Traditionen des Berliner Revuetheaters an.
Lesung und Gesang: Kathrin Angerer und Daniel Zillmann
Gitarre: Johannes Feige
Kontrabass: Helge Marx
Klavier: Jörg Mischke
Schlagzeug: Nicolai Ziel
Einrichtung: Jörg Mischke
„Die letzten Tage der Menschheit“ – Euphorien am Weltkrieg – Kraus‘ „der Nörgler“ und „der Optimist“ – Satie, Couplets und Gassenhauer – es fliegt uns alles um die Ohren: dreifach im Roten Salon
Tickets kosten an unseren Billettkassen 12,- Euro bzw. 8,- Euro (ermäßigt).
Mit freundlicher Unterstützung der Heinz und Heide Dürr Stiftung