Es geht bei diesem Gespräch weniger um den beschränkten Hass von Wutbürgern und Rassisten, der sich zur Zeit wieder auf deutschen Straßen und vor Flüchtlingsheimen austobt, als um das umfassende Gefühl eines fast metaphysischen Hasses, das als Kehrseite einer sogenannten Konsenskultur verdrängt und geächtet, dennoch latent vorhanden ist und an avancierten Orten, z. B. in Quentin Tarantinos Filmen („The hateful eight“) oder in einigen von Frank Castorfs Inszenierungen zur ästhetischen Produktiv- oder Destruktivkraft wird. Je nach Standpunkt. Der französische Philosoph Jean Baudrillard und der russische Autor DJ Stalingrad sind von diesem umfassenden Welthass fasziniert, beide kommen in Castorfs letzten Inszenierungen ausführlich zu Wort. Baudrillard hat ihn schon 1993 in den Pariser Vorstädten entdeckt - auf den T-Shirts randalierender Jugendlicher. Dort stand: „Ich habe Hass.“ Ein Hass offenbar ohne Adressat, ohne Objekt, ein unbestimmter Hass, der sich soziologisch nicht ohne Rest erklären lässt.
Und DJ Stalingrad erlebt ihn in aller Härte am eigenen Leibe im postsowjetischen Russland und feiert ihn in seinem Buch als dionysischen Exzess. „Natural born Killers“. Wohin mit diesem Drang, den Weltuntergang nicht nur zu erwarten, sondern ihn selber aktiv herbeiführen zu wollen? Gehört die Beschäftigung mit solchen „avantgardistischen“ Obsessionen zu dem „dummen Zeug“, mit dem sich, wie der Soziologe Heinz Bude gefordert hat, das Theater und die Kunst in politisch schweren Zeiten nicht mehr beschäftigen sollen? Oder verliert die Kunst wie Christoph Menke behauptet, ihre ganze Kraft, wenn sie aus sozialer Verantwortung (oder aus Angst) vor der Konfrontation mit solchen „vorsubjektiven“ Kräften zurückschreckt? Oder ist das ganze Thema nichts als eine literarische Fiktion, wie Ethel Matala vielleicht sagen wird.
Auch DJ Stalingrad (Pjotr Silaew) wird an dieser Debatte teilnehmen. In seinem an der VB dramatisierten Roman „Exodus“ im Rahmen der „Schwarzen Serie“ hat er den ziellosen Selbst- und Welthass von innen aufgebrochen. Er kommt aus dem finnischen Exil, wo er zur Zeit auf einer beschaulichen Insel als Taxifahrer arbeitet, zu dieser Veranstaltung nach Berlin. Vielleicht hat er eine Antwort gefunden (siehe auch sein Denkzeichen CIX).
Die Teilnehmer:
Heinz Bude
1954 im Wuppertal geboren, Soziologe und Hochschulleiter. Er ist Autor von unter Anderem «Bildungspanik. Was unsere Gesellschaft spaltet.» (2011), «Gesellschaft der Angst.» (2014)
und «Das Gefühl der Welt: Über die Macht von Stimmungen».
Frank Castorf
1951 in Ost-Berlin geboren, Theaterregisseur und Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Seine letzten VolksbühnenInszenierungen sind „Die Brüder Karamasow“, „Judith“ und „Die Kabale der Scheinheiligen. Das Leben des Herrn Molière“ (Premiere 27. Mai) .
Ethel Matala de Mazza
1968 in Unkel geboren, Germanistin und Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Kulturtheorie und Kulturanthropologie sowie in der neueren Literaturgeschichte.
Christoph Menke
1958 in Köln geboren, Philosoph, Germanist sowie Professor für Philosophie in Frankfurt am Main. Er gilt als wichtiger Vertreter der 'dritten Generation' der Frankfurter Schule. In seiner Forschungsarbeit beschäftigt er sich zu Themen der Politischen- und Rechtsphilosophie, zu Theorien der Subjektivität, Ethik und Ästhetik. Veröffentlichungen u. a. "Die Gegenwart der Tragödie", "Die Kraft der Kunst".
DJ Stalingrad (Pjotr Silaew)
1985 in Moskau geboren, Schriftsteller, Musiker und politischer Aktivist. Als Teil der Reihe „Schwarze Serie“ feierte sein Roman „Exodus“ nach einer Fassung von Thomas Martin und unter der Regie von Sebastian Klink am 25. März an der Volksbühne Premiere.
Tickets kosten 8,- Euro bzw. 6,- Euro (ermäßigt).