Automat
Im Lauf der Jahre hat die elektronische Musik ihr politisches Potenzial immer wieder unter Beweis gestellt, angefangen bei Detroit Techno und den ersten Sampling-Experimenten des Hip Hop bis hin zu Terre Thaemlitz, und zwar auch in einer reinen Instrumentalform. Nun komplettiert das Berliner Elektronik-Kraut-Dub-Trio AUTOMAT mit dem Album OstWest seine LP-Trilogie und beschert seinen Hörern damit eine tiefsinnige und betörende Perspektive auf das Versagen des Neoliberalismus. Die Aufnahmen fanden 2015 in den „Candy Bomber“-Studios auf dem ehemaligen Berliner Flughafen Tempelhof statt, und zwar auf dem Höhepunkt der europäischen Flüchtlingskrise. Die Band fand sich dadurch in unmittelbarer Nachbarschaft von Tausenden Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und Afrika wieder, die in den einstigen Hangars direkt unter dem Studio eine provisorische Unterkunft gefunden hatten.
Während der erste Teil der AUTOMAT-Trilogie (das 2014 erschienene Debüt Automat) sich thematisch um die vier Berliner Flughäfen rankte, und der zweite Teil (PlusMinus, 2015) die Möglichkeiten der Klangmaschinen und Effektgeräte des Dub auslotete, um hypnotische Weltraumklänge zu erzeugen, ist OstWest nichts anderes als eine musikalische Interpretation der durch dieser vielen Neuankömmlinge in Deutschland und der Europäischen Union entstandenen Situation sowie der stetig wachsenden, fremdenfeindlichen Bewegungen, die durch den Brexit zusätzlich noch angeheizt wurden. Das Ergebnis besteht in einer Reihe atmosphärisch dichter und rhythmischer Meditationen. Sie bilden die Grundlage für die flirrenden Elektronikklänge und basslastigen Rhythmen eines sich verändernden Europa, und zwar aus der Perspektive dreier Musiker, die schon lange in Berlin leben und bereits den Niedergang der gesellschaftlichen Aufbruchstimmung nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Fall der Mauer hautnah miterlebt haben.
OstWest wirkt druckvoller als die ersten Platten des Trios, und auch hier wurden, wie bereits auf PlusMinus, nur die jeweils ersten Takes auf Vinyl gepresst. Der Opener „Ost“ kommt noch eher verhalten daher. Mit seinen Samples, der mäandernden Orgel und den Synthesizer-Akzenten erinnert er an Count Ossie und Basic Channel. Doch schon im zweiten Track „Fabrik der Welt“ setzt sich dann, genau wie später auch bei „Europa“, die druckvolle, „krautige“ Dynamik der Band durch. Während der europäische Kontinent in der Vergangenheit von Bands wie Kraftwerk oder Cluster als Metapher für weiten Raum und Reisefreiheit eingesetzt wurde, wird er bei Automat zu einem düsteren, verregneten Zufluchtsort, erkennbar an den Klatschgeräuschen und Samples, die auf ihrem Weg in eine ungewisse Zukunft am Hörer vorbei rasen.
Das Gefühl einer stilistischen Entdeckungsreise bleibt auf OstWest ununterbrochen erhalten. Als Beispiel seien hier die acid-jazzigen Riddim-Loops bei „Tränenpalast“ und „Tempelhof“ erwähnt. Das Erste wurde benannt nach der Ausreisehalle am ehemaligen innerdeutschen Grenzübergang Friedrichstraße, das Zweite nach einer Flüchtlingsunterkunft im wiedervereinigten Deutschland. Die kontinuierliche Zusammenarbeit der Band mit Max Loderbauer („Ost“, „Tränenpalast“, „Yuko“, „West“) schlägt sich in den modularen Synthesizer-Klängen nieder, die die sanfte Verschmelzung von akustischem Schlagzeug und Elektronik ermöglichen. Es ist ein Sound, den Automat seit ihrer ersten LP pflegen und weiterentwickeln, ein Sound, der ihren Stücken einen durch und durch amtlichen Groove beschert.
Automat sind: Arbeit–Färber–Zeitblom
Tickets kosten 15,- Euro.