Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Im Dickicht der Städte

Frank Castorf inszeniert den jungen Brecht


„Es gibt heute Katastrophen, deren Motiv Sport ist.“ Theater ist so eine Katastrophe. Theater ist Kampf ohne Grund und ohne Feindschaft. Es geht nicht um den Sieg nach Punkten, sondern um die Existenz. Selbstverständlich ist Theater, nämlich wirkliches passioniertes Theater, riskantes Theater, nicht gesund. Da wo es wirklich etwas mit Kampf, Rekord und Risiko zu tun hat, bedarf es sogar außerordentlicher Anstrengungen der Ausübenden, ihre Gesundheit einigermaßen auf der Höhe zu halten. Theater zu dem Zweck, den Stuhlgang zu heben, ist kein Theater. Je vernünftiger, feiner und gesellschaftsfähiger Theater wird desto schlechter wird es. Wer im Theater niedergeschlagen wird, steht nicht wieder auf. Das unterscheidet das Theater vom wirklichen Leben. „Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Motive dieses Kampfes, sondern beteiligen Sie sich an den menschlichen Einsätzen, beurteilen Sie unparteiisch die Kampfform der Gegner und lenken Sie Ihr Interesse auf das Finish.“ Wer sich diesen existenziellen Luxus leistet, dem muss es schon ziemlich dreckig gehen. Auf diesem hohen Niveau der Motivlosigkeit holt uns der junge Brecht ab. „Im Dickicht der Städte“ (1927) erklärt Shlink, reich, gelb und alt, Garga, arm, weiß und jung, den Kampf. Er kann kippen in ein - ebenso unbegründetes - Gefühl: Liebe. Die Gegner stehen sich nackt gegenüber: Shlink gibt seine gesellschaftliche Machtposition auf. Garga opfert seine menschlichen Beziehungen und prostituiert Geliebte, Schwester und Mutter. Beide erhoffen sich etwas aus der Konfrontation, Shlink wünscht sich Bindung, Garga Freiheit. „Neu ist ein Typus Mensch, der einen Kampf ohne Feindschaft mit bisher unerhörten, das heißt noch nicht gestalteten Methoden führt. Purer Sport kann zwei Männer in einen Kampf verwickeln, der ihre wirtschaftliche Situation sowie sie selbst bis zur Unkenntlichkeit verändert. Hier wird Sport als Passion einfach den für das Theater schon zur Verfügung stehenden Passionen angereiht.“ Während Brecht mit der Rechten Kälte vorschützt, schlägt er seinem Gegenüber mit der Linken die geballte Wucht eines Gefühls in den Unterleib, für das er um Worte ringt. Später behauptet er, Sätze „wie scharfe Getränke“ gemixt und dann in Figuren gegossen zu haben. Tatsächlich stößt er mit jedem Satz an die Grenzen der Sprache. Dabei entsteht Lyrik. In der Erstfassung des Stücks von 1923 werden die Verhältnisse zwar poetisch überpointiert und in ausufernder Komplexität beschrieben, aber nicht sortiert und erklärt. Dazu fehlt dem Autor noch das Instrumentarium. Er hat Marx noch nicht entdeckt (und zum einzigen Zuschauer erklärt), die Lehrstücktheorie noch nicht entwickelt. Was der älter gewordene Brecht später, gemeinsam mit der marxistischen Kritik, für die ein Kampf „an sich“ nicht existiert, an seinem frühen Stück bemängelt, von dem er behauptet, es sei ihm „fremd geworden“ – die fehlende Didaktik, die nicht reflektierte Sprache – macht das Stück für uns zum derzeit wichtigsten Brecht. „Das Schlimmste ist, wenn sich die Dinge verkrusten in Wörtern, hart werden, wehtun beim Schmeißen, tot herumliegen. Sie müssen aufgestachelt werden, enthäutet, bös gemacht, man muss sie füttern und herauslocken unter der Schale, ihnen pfeifen, sie streicheln und schlagen, im Taschentuch herumtragen, abrichten“, hält der junge Autor dagegen. „Die unendliche Einsamkeit des Menschen macht eine Feindschaft zum unerreichbaren Ziel, zum unerreichbaren Gefühl, zum unerreichbaren Luxus.“ Kampf ist Kontakt. Wenn man wieder allein ist, muss man eine Pause machen, in der man den vergangenen Kampf analysieren, vergessen oder mythologisieren kann. Nach dem Spiel ist bekanntlich vor dem Spiel. Die Pause darf aber nicht unendlich werden, denn das wäre, nach Heiner Müller, der Tod. „Es gibt heute Katastrophen, deren Motiv Sport ist.“ Theater ist so eine Katastrophe. Theater ist Kampf ohne Grund und ohne Feindschaft. Es geht nicht um den Sieg nach Punkten, sondern um die Existenz. Selbstverständlich ist Theater, nämlich wirkliches passioniertes Theater, riskantes Theater, nicht gesund. Da wo es wirklich etwas mit Kampf, Rekord und Risiko zu tun hat, bedarf es sogar außerordentlicher Anstrengungen der Ausübenden, ihre Gesundheit einigermaßen auf der Höhe zu halten. Theater zu dem Zweck, den Stuhlgang zu heben, ist kein Theater. Je vernünftiger, feiner und gesellschaftsfähiger Theater wird desto schlechter wird es. Wer im Theater niedergeschlagen wird, steht nicht wieder auf. Das unterscheidet das Theater vom wirklichen Leben. „Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf über die Motive dieses Kampfes, sondern beteiligen Sie sich an den menschlichen Einsätzen, beurteilen Sie unparteiisch die Kampfform der Gegner und lenken Sie Ihr Interesse auf das Finish.“ Wer sich diesen existenziellen Luxus leistet, dem muss es schon ziemlich dreckig gehen. Auf diesem hohen Niveau der Motivlosigkeit holt uns der junge Brecht ab. „Im Dickicht der Städte“ (1927) erklärt Shlink, reich, gelb und alt, Garga, arm, weiß und jung, den Kampf. Er kann kippen in ein - ebenso unbegründetes - Gefühl: Liebe. Die Gegner stehen sich nackt gegenüber: Shlink gibt seine gesellschaftliche Machtposition auf. Garga opfert seine menschlichen Beziehungen und prostituiert Geliebte, Schwester und Mutter. Beide erhoffen sich etwas aus der Konfrontation, Shlink wünscht sich Bindung, Garga Freiheit. „Neu ist ein Typus Mensch, der einen Kampf ohne Feindschaft mit bisher unerhörten, das heißt noch nicht gestalteten Methoden führt. Purer Sport kann zwei Männer in einen Kampf verwickeln, der ihre wirtschaftliche Situation sowie sie selbst bis zur Unkenntlichkeit verändert. Hier wird Sport als Passion einfach den für das Theater schon zur Verfügung stehenden Passionen angereiht.“ Während Brecht mit der Rechten Kälte vorschützt, schlägt er seinem Gegenüber mit der Linken die geballte Wucht eines Gefühls in den Unterleib, für das er um Worte ringt. Jutta Wangemann, 2006 Premiere am 23. Februar 2006 Die Inszenierung legt die Druckfassung „Im Dickicht der Städte“ (1927) zugrunde und verwendet Passagen aus der Fassung „Im Dickicht“ (1923). Aufführungsrechte: Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
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