Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

L´Affaire Martin! Occupe-toi de Sophie! Par la fenêtre, Caroline! Le mariage de Spengler. Christine est en avance.

von René Pollesch


Sophie: Sie haben Ihr Leben erfunden!! Caroline: Na und! Ich sehe keinen positiven Wert in einem nicht-erfundenen Leben. Die Junker von der Donnersmarck haben einen Kelch mit einem Elch in ihrem Wappen, oder einen Pokal mit einem Portal, oder einen Becher mit einem Fächer... Was zu grossen Verwechslungen führt! Überhaupt ist die Verwechslungskomödie ein gutes Instrument, um sich Geschichten zu erzählen, in denen kein Unterschied mehr gesehen werden kann zwischen „einem Professor, einem Hund, einer Hure und einem athletischen Knaben“ (Donna Haraway) und nichts hilft einem dabei, einen zu machen: „Mein Hund hat einen Stammbaum der auf zwanzig Generationen zurückgeht und ich weiss nicht mal die Vornamen meiner Grosseltern!“ Und dann fragt man sich: Was kann als Selbst und was kann als Anderes gelten? Und wie kriegte das Immunsystem oder das zwanzigste Jahrhundert es mal heraus, dass man es mit etwas Anderem zu tun hatte? Und wie ist das mit Wissenschaften, die auf wikipedia beruhn? Wo wir nicht mehr nur lesen, sondern auch schreiben können! Jedenfalls... Der Junker Hencker von der Donnersmarck hat Herrn Spengler eine Rolle auf den Leib geschrieben. Es geht um das „Leben der Anderen“, einen verstörenden Blick zurück in die Vergangenheit auf Oberschlesien, in netten historischen Kostümen. „Wer kann es uns verdenken oder verwehren, wenn wir heute insbesondere an die Heimat denken. Im Geiste stehe ich auf der Hochbrücke am Hindenburger Hauptbahnhof, sehe vor mir die Hochöfen, die Bergwerke, die Schornsteine, die Fördertürme, die Donnersmarck-Hütte... Bla Bla Bla...“ Die Junker von der Donnersmarck mit dem Kelch mit dem Elch im Wappen sind so eine Art Geheimbund, der sich die Wiedervereinigung Deutschlands auf die Junkerfahnen geschrieben hat. Und der Oberanführer dieser Junker ist der Hencker von der Donnersmarck. Da geht es um Geheimbünde und um Schlösser und mit grosser Wahrscheinlichkeit auch um die Deutsche Bank. Und der Hencker macht jetzt einen historischen Film darüber. Und das sind doch nun wirklich mal die „Anderen“, von denen gesprochen wird! „L’affaire Martin etc.“ zelebriert die Trennung von Körper und Seele (z.B. Guantanamo) als Verwechslungskomödie. „Wir müssen nicht für jemanden sprechen sondern mit jemandem! Das ist alles.“ (Donna Haraway) Das heisst wir können uns nicht länger auf eine Sprache beziehn, in der wir uns Geschichten erzählen, die sich durchgesetzt haben, die aber nicht unsere sind: Die Trennung von Tier und Mensch, die Vereinigung von Körper und Seele! Konversation als viel versprechende Lebensform also! Kommunikation zwischen radikal unterschiedlichen Arten von Subjekten! Was wäre das? Ausser Folter? Man muss doch mit den Laborratten reden können! Da gibt es doch eine Ähnlichkeit, auf die man sich bei Tier/Menschenversuchen bezieht? Und wenn man sich nicht auf die Lesbarkeit, sondern auf die Leben bezieht, haben wir es eben mit einer Verwechslungskomödie zu tun, in der Komplexität eine Selbstverständlichkeit ist. René Pollesch, 2006 Premiere am 11. Oktober 2006 in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
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