Volksbühne Berlin am Rosa-Luxemburg-Platz
 

Castorf, der Eisenhändler

Volles Boot und Stahlgewitter
Sophie Rois, Heiner Müller und Frank Castorf im ORB-Talk

Von Jürgen Balitzki, Redakteur des damaligen ORB-Kultursenders Radio Brandenburg

Heiner Müller ist ab Mitte März 1995 alleiniger Intendant des Berliner Ensembles. Als Vierter hatte sich Peter Zadek kurz zuvor aus dem 1992 installierten BE-Führungsquintett entnervt zurückgezogen. Die Pickel, die er bekam, wenn er das Brandenburger Tor in östlicher Richtung durchquerte (so wurde er zitiert), wollte er nicht länger ertragen.
Den Kern dieses Konflikts thematisiert die Sendung „Castorf, der Eisenhändler“ von Radio Brandenburg am 7. April zwischen 21 und 23 Uhr.

Müller, gerade aus den USA von einer Krebs-Reha zurück und seit einigen Tagen mit den Vorbereitungen für seinen „Arturo-Ui“ befaßt, redet mit Frank Castorf über Ost-West-Animositäten im zeitgeschichtlichen Theaterwesen, über Lauterkeit im Eisenwarenhandel und ein bißchen über die Zukunft des BE. Er trinkt Whisky. Der in Sachen US-amerikanischer Spirituosen unkundige Castorf hatte an einer Tanke in Babelsberg Bourbon gekauft, der, von Müller abgelehnt, kurzerhand zu einem Black Label von Johnny Walker upgegradet werden muß. Dritte im Studio ist Sophie Rois, die eigentlich nur zum Singen bestellt ist und dennoch redet, obwohl es ihr schwer gemacht wird. Seit Castorfs 94er Inszenierung „Pension Schöller/ Die Schlacht“ verstärkt die Österreicherin Attraktivität und Kraft der Schauspielerinnenriege an der Volksbühne.

Dieser 7. April ist ein trüber Tag. Am frühen Abend fahren wir von Berlin nach Potsdam Babelsberg, wo der ORB dabei ist, seine Gründungsbaracken allmählich durch steinerne Gebäude zu ersetzen. Das Gelände ist über die schlecht beleuchtete, mit Schrott und Erdwällen versehene Baustelle der Babelsberger Filmstudios zu erreichen. Der schwere Volvo setzt mehrmals auf. Die lockeren Gespräche im Fonds versiegen. Für einen späteren Rechtsstreit mit den Filmstudios wird Frank Castorf einen Bericht für die Versicherung unterschreiben müssen.

Auf der Rückfahrt machen Anekdoten die Runde. Müller gibt zum Besten, daß er die Rolle des Schauspielers im „Ui“ mit (dem damals 90-jährigen) Bernhard Minetti besetzt. „Sollte er auf der Bühne sterben, werde ich ihn durch Hans-Peter Minetti ersetzen“. Aber, sagt er, der Bühnen-Tod des alten Minetti würde sicherlich nicht stattfinden, denn hinter der Bühne stünde immer sein persönlicher Arzt - „Feigling.“

Minetti wird Müller um drei Jahre überleben.

„Castorf, der Eisenhändler“ mit den Studiogästen Heiner Müller und Sophie Rois am 7. April 1995 im orb-Kultursender Radio from Volksbühne Berlin on Vimeo.

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